Seit
2013 bespreche ich Bücher, die ich im Jahr gelesen habe und die mich besonders berührt haben. Lasst uns nun anfangen:
1. Feuer, Chaim Noll
Der Roman "Feuer" erschien im Winter 2010, also nur Monate vor der Atom-Katastrophe von Fukushima. Im Roman geht es um ein riesiges apokalyptisches Unglück, dass ein großes Gebiet in Deutschland betroffen hat. Eine Gruppe von mehreren Personen, die dieses Unglück in einer grossen Stadt erlebten, flüchten nun durch den Wald, auf der Suche nach Zivilisation. Unter ihnen sind Frau Silberblick, eine Orthodoxe Jüdin, Jonathan, ein Gymnast, Alma, eine Studentin aus reichem Hause, das Ehepaar Fink, Collande, ein Unruhestifter, und ein katholischer Priester. Auf dem Weg in die Zivilisation finden sie Leichen, verlassene Dörfer, und andere schreckliche Dinge. Am Ende kommen sie in die Zivilisation - und entdecken, dass diese sich in eine Dystopie entwickelt, die jegliche Hinweise auf die große Katastrophe verschleiern will.
Am Ende bekam ich fast ein Schock, als ich die Allegorie dahinter verstanden habe. Ich habe mich danach sogar an Chaim Noll selbst gewendet, und habe ihn gefragt, ob es eine Fortsetzung geben würde. Er habe vorher nicht darüber nachgedacht, würde es sich aber überlegen. Da bin ich ja mal gespannt. Wie dem auch seih, ich kann jeden diesen Roman empfehlen.
2. Hier kommt der Messias!, Dina Rubina
"Hier kommt der Messias" (
Вот идёт Мессия!) ist der erfolgreichste Roman der russisch-israelischen Schriftstellerin Dina Rubina, die in Taschkent aufgewachsen ist und 1990 nach Israel ausgewandert ist.
Im Roman geht es um das Leben verschiedener russischer Einwanderer in den 1990´er Jahren, als die russische Einwanderung ihren Höhepunkt erreichte. Wir erleben hier mit den Charakteren den Kulturschock, das nostalgische Heimweh, und oft auch die Konfrontation mit ihrer eigenen Jiddischkeit, die viele von ihnen in der Sowjetunion verschwiegen haben oder überhaupt nicht kannten.
Eine der Geschichten die mich faszinierten waren die Geschichte vom Konvertierten Uri Bar-Chanina.
Das Buch ist derzeit leider schwer erhältlich - ich habe es letztes Jahr gebraucht über einen dritten Anbieter gekauft, und es dauerte auch so einige Wochen bevor es ankam. Dieses Jahr hatte ich jedoch nun auch endlich Zeit es zu lesen, und es war ein Genuss. Dina Rubinas Erzählkunst ist genau wie bei Ljudmila Ulitzkaja sehr russisch und dennoch sehr jüdisch, besonders in den sehr sarkastischen Situationen, in denen sie ihre Figuren steckt.
3. Du bist nicht so wie andre Mütter, Angelika Schrobsdorff
"Du bist nicht so wie andre Mütter" ist eines der besten Bücher die ich dieses Jahr gelesen habe. Erschienen ist es in den 1990´ern, als die Autorin des Buches noch in Jerusalem lebte. Angelika Schrobsdorff ist diesen Sommer im Alter von 88 Jahren in Berlin gestorben.
Der Roman ist eine autobiografische Erzählung über ihre sehr assimilierte, luxuriöse Kindheit im Berlin der 30´er Jahre und ihre Jahre in Bulgarien während des Krieges.
Der Roman fängt mit der Kindheit und Jugend ihrer jüdischen Mutter an. Für mich als Orthodoxer Jude war dieser Teil des Buches sehr gruselig, da es beschreibt wie sehr sich ihre Mutter schon als Kind vor allem jüdischen grauste und ein Teil der "deutsch-christlichen" Welt sein wollte. Ihre ersten beiden Kinder lässt sie taufen, aber Angelika selbst - die ironischer weise am Weihnachtsabend 1927 auf die Welt kommt - wird verschont. Danach wird beschrieben wie Angelika als Kind mehr oder weniger verhätschelt wird und wie ihre Mutter das Weltgeschehen aus dem Hause heraushält, und wie sie ihrer Tochter das Jüdischsein verschweigt und so tut als sei alles gut. Bis zur Kristallnacht. Ein Jahr darauf heiratet ihre Mutter einen Bulgaren und zieht dorthin. Kurz darauf reisen Angelika und ihre ältere Schwester Bettina mit, und erfahren daraufhin dass sie dort bis auf ungenaue Zeit dort bleiben werden. Dann fängt der 2. Weltkrieg an, und Angelika freut sich erst auf die Siege der Deutschen - bis ihr eigener Vater sie darauf hinweist, dass das, was die Deutschen tun, schlecht ist. Kurz darauf erfährt sie, dass sie Jüdin ist. Das verändert alles.
Das war sehr faszinierend zu lesen, wie Angelika sich von einem naiven, verhätschelten, Weltfremden Mädchen in eine junge, selbstbewusste jüdische Frau entwickelt, und wie sie erkennt, dass ihr gesamtes Leben bis dahin eine reinste Lüge war.
Ich werde nun auch mehr von Angelika Schrobsdorff lesen.
4. Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer, Alex Capus
Noch ein sehr langer Titel. Der hier hat jedenfalls eine interessante Vorgeschichte, von meiner Sich jedenfalls. Ich kaufte das Buch auf dem Wiener Flughafen im Herbst 2013, und fing daraufhin an ihn zu lesen. Mit mehreren Pausen dazwischen habe ich es im Frühling diesen Jahres nach 3 Jahren endlich geschafft ihn fertig zu lesen.
War schon ein Erlebnis.
Der Roman erzählt die Lebensgeschichten der im Titel genannten - bei Namen: Emile Gilliéron (1885-1939), Laura D´Oriano (1911-1943) und Felix Bloch (1905-1983). Es ist schon fantastisch wie viel Alex Kapus hier recherchiert hat, und die damalige Zeit wird einen lebendig und man kann es sich dann auch so richtig vorstellen. Allerdings muss ich sagen, dass von den drei Lebensgeschichten nur die von Laura D´Oriano und Felix Bloch interessant wirken - so erlebte ich es jedenfalls. In der zweiten Hälfte wird Gilliéron auch mehr oder weniger vergessen, und es konzentriert sich dann vermehrt auf D´Oriano und Bloch. Vielleicht währe es besser, wenn Capus sich nur auf die beiden konzentriert hätte - aber sonst ist der Roman recht gut geschrieben. Ich fand es jedenfalls sehr schön als ich das Lesen des Romans endlich nach 3 Jahren abschließen konnte.
5. Kaddisch für mein Schtetl, Grigori Kanowitsch
Nun zum wohl persönlichsten Roman des litauisch-jüdischen Schriftstellers Grigori Kanowitsch, "Kaddisch für mein Schtetl" (
Местечковый романс). Der Roman erzählt die Geschichter seiner Familie im Schtetl von Jonava, und wie seine Eltern zueinander fanden, und wie seine Mutter dem Druck ihrer Schwiegermutter standhielt.
Dann von den glücklichen Jahren seiner Kindheit, die er mit seiner Großmutter väterlicher seits teilt, eine Zeit die 10 Jahre hält, bis zur sowjetischen Invasion 1939. Dies ist ein sehr interessanter Teil des Romans - hier wird beschrieben, wie die sowjetischen Besatzer mehrere Synagogen geschlossen haben und das hebräische als Unterrichtssprache verbieten. Somit ist dies der Anfang vom Ende des Schtetl-Lebens. Einer seiner Onkel ist überzeugter Kommunist, und dem war es sehr egal wie die neuen Machthaber seine jüdischen Brüder und Schwestern behandelten. Es wird nicht erwähnt, wie sein weiteres Schicksal in der Sowjetunion verlief, aber bestimmt endete er im Gulag.
Als die deutschen 1941 angreifen, sieht er dann seine geliebte Großmutter zum letzten Mal - sie will die Gräber ihrer Vorfahren nicht verlassen. Letztendlich flieht er mit seinen Eltern in die Sowjetunion, und nach der Rückkehr nach Litauen 1945 ist alles was vorher da war ausgelöscht worden.
Ein sehr wichtiger Roman über das Ende des litauischen Judentums und der Schtetl-Kultur an sich.
6. Schlaflos in Tel Aviv, Chaim Noll
Die neueste Sammlung von Kurzgeschichten von Chaim Noll - die zweite nach "Kolja" aus dem Jahre 2012 (Besprechung folgt). Einige der Geschichten sind schon viele Jahre alt, und man kann es auch auf dem Schreibstil merken. Einige davon spielen in der DDR, andere im Modernen Israel und haben Bezug auf die heutige Situation.
Die erste Geschichte erzählt von einem 17 Jährigen Schüler im Ostberlin der 60´er Jahre, der um Geld für eine Fahrkarte bettelt. Letztendlich gibt eine ältere Frau ihn das nötige Geld, und fragt ihn, ob er Deutscher sei - welches er bejaht. Daraufhin sagt sie "...ein Deutscher bettelt nicht!"
In einer anderen Geschichte finden wir uns in einer Psychiatrie in der DDR wieder, wo ein Wehrdienstverweigerer einsitzt, angeblich weil er Alkoholiker sei. Eine ältere Ungarin fragt ihn daraufhin "Bist a Jud?" - und sagt daraufhin "Aber du weisst, Juden trinken nicht." Die Einrichtung der Psychiatrie - eine Villa umschlungen von Efeu - ist mehr oder weniger der Mikrokosmos der die DDR war, mit anderen Worten in einer Nussschale. Das Schicksal der Juden der DDR ist ein leider oft ignoriertes Thema, und ein typisches Schicksal findet sich in der Geschichte um Olga - über die Geschichte will ich jetzt nichts verraten.
Eine Geschichte die mich besonders beeindruckte war "Völkerrecht", in der eine deutsche Konvertitin darunter leidet dass ihre Schwester sich weigert sie in Israel zu besuchen wegen den angeblichen Kriegsverbrechen Israels.
Alles in allen ein würdiger Nachfolger zu "Kolja".
7. Ich muss ja den Weg gehen, den ich gehen kann, Fred Düren
Letztes Jahr ist im Frühling der legendäre ehemalige DEFA-Schauspieler Fred Düren von uns gegangen, und wurde auf dem Ölberg in Jerusalem beerdigt.
Das Buch ist aus dem Jahre 2008, gibt jedoch gute Einblicke in sein Leben durch diverse Interviews.
Er lebte ein bewegtes Leben: Anfänge im Theater, ab den 60´er Jahren sehr beliebter Charakterdarsteller sowohl bei der DEFA als auch beim Theater. Mitte der 80´er Jahre meldet er sich aus der SED raus, konvertiert zum Judentum, und macht kurz darauf Alija und wird einige Jahre danach Rabbiner. Wie in einem der Interviews im Buch erwähnt wird, ein riesiger Schritt zurück, aus kommunistischer Sicht, da man ja "Fortschritt" macht wenn man sich ganz von der Religion verabschiedet.
In den Interviews erzählt er auch, wie glücklich er war nun als Orthodoxer Jude in Jerusalem zu leben, und wie er nichts vom Leben in der DDR vermisste. Auch sagte er, dass die meisten Friedensdialoge naiv sind, und dass es wohl nie zum Frieden da unten kommen wird.
So, das war es für dieses Jahr!
Ein gesamter Jahresrückblick wird es dieses Jahr nicht geben, da mir die Zeit dazu fehlt. Vielleicht werde ich kurz nach Neujahr einen kleineren Rückblick schreiben.