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Freitag, 29. Dezember 2023

Bücher, die mich dieses Jahr bewegt haben - 2023 Version (10 Jahre Bücher die mich bewegt haben)

Ja, heute ist es tatsächlich zehn Jahre her, dass ich meine erste jährliche Buchbesprechung machte, und die dann leider von 2017 bis 2021 nicht gemacht wurde, entweder wegen schriftlicher Prüfungen oder Stress wegen der Pandemie. Letztes Jahr habe ich es wenigstens wieder geschafft, und so mache ich es dieses Mal wieder! 

Und wie gesagt, die hier besprochenen Bücher sind trotz der Nummern in keiner bestimmten Reihenfolge! 

1) Wenn du erzählst, erblüht die Wüste, Rafik Schami 

Rafik Schami liebt es, statt als Schriftsteller lieber als Erzähler bezeichnet zu werden - dieser als Erzählband versteckter Roman trifft es auf dem Punkt. 

Im Roman geht es um die arabische Prinzessin Jasmin, die nach dem Tod ihrer Mutter in eine Depression kommt, und durch einer List des verwitweten Kaffeehauserzählers Karam wird dann jede Nacht am Königshof Märchen und Geschichten erzählt, alles vom Volk selber. 

So tauchen wir hinein in einer Vielzahl von Erzählungen, die Unterschiedlicher nicht sein können. 

Jede Nacht ist in einer anderen Kategorie verteilt - so hat jede Erzählung in der Nacht Gemeinsam, dass sie alle ein Thema teilen, so handeln die Erzählungen der ersten Nacht von "Gaunern, Lügnern und deren Widersachern". Die Art, wie die Geschichten erzählt werden, kann oft auch als eine Parodie auf Tausendundeine Nacht verstanden werden, und als Liebhaber von Tausendundeine Nacht kann ich das sehr wertschätzen. Ich würde jedenfalls sagen, dass wenn man ein Liebhaber von Tausendundeine Nacht ist, dann wird man diesen Roman wohl lieben! 

Ich glaube auch, dass Rafik Schami durch diesen Roman in eine ganz neue Ära in seiner Karriere gekommen ist.  

2) Serge, Yasmina Reza 

Im Roman "Serge" von Yasmina Reza geht es um eine sehr dysfunktionale jüdische Familie aus Paris, die nach dem Tod der Matriarchin Marta nach Auschwitz reist, um zu verstehen, was sie damals erlebt hat. 

Der Trip nach Auschwitz vergeht sehr chaotisch, und neben den Shenanigans der Familie und die  Ansichten des Erzählers - der wohl der einzig normale in der Familie ist - sind recht witzig. Ein sehr prominentes Beispiel für schwarzen Humor, wie man ihn nur aus Frankreich kennt. 

Der Roman zeigt allerdings auch, wie schwer es auch in Frankreich für viele jüdische Familien war, nach der Schoa wieder neu anzufangen - und auch, wie viele von ihnen sich an die Mehrheitsgesellschaft anpassen wollten, wie die im Buch verstorbene Matriarchin Marta, die aus einer sehr assimilierten bürgerlichen Familie aus Budapest kam. Im Buch werden hier und da auch einige Vorwürfe an ihr gemacht, dass sie ihren Söhnen die Bar Mizwa verweigerte und sich so schämte, Jüdin zu sein dass sie lieber auf einen katholischen Friedhof beerdigt werden wollte. 

Eine witzige Rand Note ist auch die hier - Marta hatte einen Kalender mit Bildern von Putin, weil er ja ach so süß sei. 

3) Hijack for Freedom, Mark Dymshits 

Ich kaufte und las dieses Buch während meines Urlaubs in Israel letzten Mai. Das Buch sind die Memoiren des ehemaligen sowjetischen Piloten Mark Dymshits, der nach einer langen Karriere bei der sowjetischen Luftwaffe sich bei einer versuchten Flugzeugentführung im Sommer 1970 beteiligte und deswegen für mehrere Jahre in Haft saß. 

Mark beschreibt seine Kindheit und Jugend in Leningrad in den 30´er Jahren und seine Evakuierung 1941, und seiner Leidenschaft vom fliegen. Diese Leidenschaft und seine Karriere in der Luftwaffe lies ihn für lange Zeit die Realität des Jüdisch seins in der Sowjetunion ignorieren, bis zum Jahr 1967. 

Mark macht es klar, dass seine Mitverschwörer und seine Familie wussten, dass die geplante Flugzeugentführung auffliegen würde, allerdings bekamen sie das, was sie wollten - Aufmerksamkeit um das Schicksal der sowjetischen Juden. Mark beschreibt die Jahre in Gefangenschaft sehr lebendig, und sein Glück, als er hörte dass seine Töchter einige Jahre nach der geplanten Flugzeugentführung nach Israel auswandern konnten. 

Das Buch beschreibt auch sehr gut wie assimiliert die Juden in der Sowjetunion schon um 1930 waren, nur 12 Jahre nach der Revolution. 

4) Als ich im sterben lag, William Faulkner 

Oy, das war ein recht eingewickelter, aber dennoch guter Roman. Ein Roman von der Sorte, wo man so gut wie jede der Personen nicht wirklich sympathisch findet. Es geht um die Familie Bundren, die im Mississippi kurz nach der Jahrhundertwende versucht, den Wunsch der verstorbenen Mutter Addie zu würdigen, bei ihrer Familie in der Stadt Jefferson beerdigt zu werden. 

Die Geschichte verläuft chronologisch, wird in über 50 Kapiteln von nicht weniger als 15 Charakteren erzählt. 

Es gibt viele Charaktere, am meisten erzählen der Vater Anse, seine Tochter Dewey Dell, und sein Sohn Darl. Dewey Dell ist eine der wenigen mehr oder weniger sympathischen Charaktere. Wohl auch wegen der tragischen Umstände um ihr eigenes Schicksal, und die Tatsache, dass ihre Schwangerschaft vielleicht von einen ihrer eigenen Brüder gekommen ist. 

Die Geschichte an sich erzählt vom Leichenzug nach Jefferson, und die vielen Strapazen die dort passieren. 
Allerdings muss ich warnen, dass es eine Weile dauern kann, bis man wirklich rafft was eigentlich passiert und man die Charaktere wirklich kennenlernt. 


5) A Kim Jong-il Production, Paul Fischer 
Wie ihr wisst, so finde ich nordkoreanische Filme sehr faszinierend, so auch die Tatsache, dass es auch nordkoreanische Filme gibt, die auch tatsächlich gut sind. 

Eine führende Figur hinter der nordkoreanischen Filmindustrie war von ungefähr 1970 bis zu seinem Tod 2011 niemand anderes als der spätere Diktator Kim Jong-il, der ein großer Hobbycineast war. So sehr, und so enttäuscht war er vom Stand der nordkoreanischen Filmindustrie, dass er Ende der 70´er Jahre den grossen südkoreanischen Regisseur Shin Sang-ok und dessen Exfrau, die Schauspielerin Choi Eun-hee, separat entführen lies. 

Darum geht es in diesen Buch - aber nicht nur über die Entführung, der Jahre in Nordkorea und den Dreharbeiten zu unter anderen Pulgasari, sondern auch um das eigentliche Leben von Shin Sang-ok und Choi Eun- hee - und Kim Jong-il selbst. Paul Fischer hat sehr gut die ganzen Umstände zur Entführung recherchiert, sowie um die Umstände des Kinos im geteilten Korea. Auch wird die Entführung von Japanern und Südkoreanern beleuchtet, sowie die Entführung von anderen Nationalitäten für die bizarren Pläne Kim Jong-ils. Erzählt wird auch über das Schicksal von Woo In-hee, der grossen nordkoreanischen Schauspielerin, dessen Affäre mit Kim Jong-il ihr zum Verhängnis wurde.  

Als ich das Buch las, war es sehr, sehr schwer das Buch von mir zu legen, und ich kann es wirklich jeden weiterempfehlen. 

6) Eine Seuche in der Stadt, Ljudmila Ulitzkaja
Diesen Roman hatte Ljudmila Ulitzkaja schon in den 70´er Jahren als Drehbuch geschrieben, wurde allerdings abgelehnt, da das Thema darin noch nicht bereit war, verarbeitet zu werden in der damaligen Sowjetunion, die noch einige Jahre von den Veränderungen der Perestrojka entfernt waren. 

Im Roman geht es um einen Vorfall in den 30´er Jahren, in der es dem NKDW gelingt, den Ausbruch der Pest zu verhindern, indem sie mehrere Personen die mit dem Patient X in Verbindung waren verhaftet und in Quarantäne versetzt. Bei einigen dieser Leute bricht die Pest dann aus und sie sterben. 

Ljudmila Ulitzkajas kühle Erzählkunst kommt hier sehr gut in Bewegung, und man sieht dass es wohl mit willen schwierig gemacht wurde, sich mit irgendeinen der Charaktere zu identifizieren. 

Wie gesagt hatte Ulitzkaja den Roman in den 70´ern als Drehbuch geschrieben, aber als die Pandemie Anfang 2020 ausbrach, hat sie ihn durchgearbeitet und als Roman umgeschrieben. Die Handlung passte halt wieder in das Zeitgeschehen. Und das in einer Zeit, in der die Realität in Russland dunkler wurde, nicht nur durch die Pandemie und dessen Auswirkungen dort. 

Es war der letzte Roman, den Ulitzkaja vor dem russischen Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 veröffentlichte, und seit März 2022 wohnt sie nun mit ihrem Ehemann in Berlin. 

Es war sehr schön, wieder Bücher hier besprechen zu können - es fühlt sich irgendwie befreiend an, darüber zu schreiben, wie man beim lesen in eine ganz andere Welt geführt wird. 

Umso schöner das ich es noch nach 10 Jahren noch mache, trotz der Jahre, wo ich es leider nicht tat. 

PS - eigentlich hatte ich geplant, hier auch Masha Gessens Buch über Birobidschan zu besprechen, allerdings im Lichte der Tatsache dass sie sich auf der Seite der Hamas stellt und nun genau so ist wie die Leute, die damals in der Sowjetunion ihre Eltern verfolgten, habe ich keine Lust, sie hierzu promoten. 


Sonntag, 29. Dezember 2013

Bücher, die mich dieses Jahr bewegt haben


Da ich ja ein Bücherwurm aus Leidenschaft bin, habe ich dieses Jahr natürlich sehr viel gelesen;

Hier sind die Bücher, die mich dieses Jahr besonders bewegt haben:

(die Titel hier sind zwar nummeriert, aber nicht in einer bestimmten Reihenfolge)

1. Das Erbe, Sahar Khalifa
"Das Erbe" (al-Mirath) ist ein Roman der palästinensischen Schriftstellerin Sahar Khalifa. Der Roman hat zwei Handlungen: zum einen die Vorgeschichte der Hauptperson, Sainab "Sena" Hamdan, die ihre Kindheit und Jugend in Brooklyn beschreibt - wie sie zwischen zwei Welten lebte, zum einen in einer arabischen (durch ihren palästinensischen Vater) und zum einen in einer westlichen, amerikanischen (durch ihrer amerikanischen Mutter). Als Sena noch jung ist, haut ihre Mutter von zuhause ab - und als Teenager wird sie schwanger, und flüchtet zu ihrer Grossmutter. Jahrelang hat sie keinen Kontakt zu ihrem Vater, und sie wird eine erfolgreiche Anthropologin. Nach dem Tod ihrer Mutter erbt sie noch eine große Summe; als sie erfährt, dass ihr Vater im sterben liegt, nimmt sie den nächsten Flieger nach Israel und nimmt sich danach ein Taxi ins Westjordanland, wo ihr Vater mittlerweile zu seinem Geburtsort zurückgekehrt war. Dort wird sie von ihrer Sippe aufgenommen, teils herzlich, teils misstrauisch, da sich viele ums Erbe ihres Vaters reißen. Währenddessen kämpft ihre Tante Nahla, eine ehemalige Lehrerin aus Kuwait, um Anerkennung in ihrer eigenen Familie.

So, nun möchte ich auch nicht mehr verraten. "Das Erbe" hat mich wirklich beeindruckt. Irgendwie konnte ich nachvollziehen, wie Sena sich fühlt, zwischen zwei Welten, da ich selbst auch gemischter Abstammung bin. Sahar Khalifa beschreibt das ganze sehr gut. Der Roman ist wie gesagt geteilt in zwei Teilen: im ersten Teil geht es um Sena, um ihre Kindheit, ihre Jugend, und ihr modernes, emanzipierte Leben in New York. Das Idyll wird dann gestört durch der Nachricht, Senas Vater sei im sterben. Wir erfahren dann auch wie fremd ihr die palästinensische Kultur vorkommt, und wie sie noch einige Schwierigkeiten hat, arabisch zu sprechen, da sie seit dem sie bei ihrer Großmutter wohnte nur englisch sprach.

Im zweiten Teil geht es dann mehr um ihre Tante Nahla, und ein genaueres Porträt der Familie Hamdan. Anfangs sehen wir das Geschehen noch mit Senas Augen, aber nach einen Gespräch mit der Tante Nahla, wo sie offenbart, wie undankbar sie von der eigenen Familie behandelt wird, sehen wir das Geschehen mit Nahlas Augen. Erst am Ende wird es noch mit Senas Augen gesehen. Und jetzt verrate ich nicht mehr.

2. Hotel Shanghai, Vicki Baum

Vicki Baum war eine der bedeutendsten Schriftstellerinnen ihrer Zeit. Geboren in einer jüdischen Familie in Wien, wurde sie später eine sehr bedeutende Schriftstellerin der Weimarer Republik. Anfang der 30´er Jahre migriert sie in die USA, wo sie auch bis zu ihren Tod 1960 bleibt.

"Hotel Shanghai" ist in zwei Teilen geteilt. Der erste Teil beschreibt die Leben der Hauptpersonen - unter anderen ein chinesischer Triadenboss, sein Sohn, ein jüdischer Arzt, eine russische Adlige, ein japanischer Geschäftsmann, und eine amerikanische Flugbegleiterin. Am Anfang wird jedenfalls schon klar gemacht, dass jeder der im ersten Teil erwähnten Personen sterben wird. Im zweiten Teil geht es um das im Titel erwähnte Hotel, wo sich alle im ersten Teil genannten Personen begegnen werden. Hier realisiert zum Beispiel die russische Adlige Jelena (aka Helen Russel), dass ihre Ehe die Hölle ist, der jüdische Arzt Doktor Hain bekommt einen Brief von seiner nicht-jüdischen Frau in Deutschland, dass sie sich scheiden möchte, und dass "der Führer recht hat", und der Sohn des Triadenboss bekommt eine junge Konkubine verehrt, Meilan, da er mit seiner amerikanischen Frau bis jetzt noch keinen Nachkommen kriegen konnte.

Das Jahr 1937 wird durch das Lesen hier richtig lebendig. Nicht nur das glamouröse Leben im Hotel wird hier lebendig, sondern auch die damaligen Probleme werden auf einmal sehr lebendig: so beschreibt Vicki Baum im ersten Teil den Aufstieg der Nazis in den Augen des jüdischen Arztes und der eines Studenten. In Shanghai gehen sie alle ins Exil, andere flüchten von ihren eigenen Problemen zuhause (wie zum beispiel Jelena und Ruth Anderson), und sind im Hotel Shanghai dann in einer ganz anderen Welt. Der Roman wurde 1997 verfilmt, mit Agnieszka Wagner als Jelena und Hu Xin als Meilan. Als ich das Buch fertig gelesen hatte, war ich sehr berührt.

3. Frauen ohne Männer, Shahrnush Parsipur
Kommt euch der Titel hier nicht bekannt vor? Ja, denn der Roman (im Original: Zanān bedun-e mardān) wurde 2009 von Shirin Neshat verfilmt. Der Roman ist jedoch viel gewalttätiger als die Verfilmung, und der Roman ist auch voller magischen Realismus. Eine vierte Schlüsselfigur tritt auch hier auf, die am Anfang erscheint, und am Ende in einen Baum verwandelt wird.

Shirin Neshat hat vieles davon im Film weggelassen, um die Parallelen von damals mit dem Iran von heute zu zeigen. Im Roman hier stirbt Munes zwei Mal, bevor sie wiedergeboren wird. Hier wird auch genauer Beschrieben, wie sich die Frauen von der Aussenwelt verabschieden und sich dann im Garten in der Einöde eine eigene kleine Utopie aufbauen.   Es wird hier auch genauer beschrieben, wie schlimm und leer das Leben als Prostituierte ist.

Der Roman wurde kurz nach seiner Veröffentlichung 1989 verboten, und die Autorin Shahrnush Parsipur erlebte mehrmals ein Gefängnis von innen - sowohl unter dem Schah als auch unter Khomeini. Ich habe den Roman damals auf meinen Flug von Wien nach Tel Aviv gelesen - und das letzte Kapitel und das Nachwort der Autorin las ich dann am Abend einige Stunden nach meiner Ankunft in Jerusalem. Deswegen verbinde ich den Roman nämlich jetzt immer mit den Tag, als ich nach Israel kam.

4. Schalom, Avram Kantor  
Diesen Roman (im Original: El haChardonim) verschlang ich auf einem Tag. In dem Roman geht es um Nechama, eine Überlebende des Holocausts. Sie ist verwitwet, und hat mehrere Kinder und Enkelkinder. Ihr Ehemann Menachem hatte den Deutschen nie verziehen, deswegen hat er dann seinen Sohn  Jaki verstoßen, als der eine Deutsche heiratete und mit der eine Familie in Deutschland gründete.  Jaki schreibt einmal im Monat einen Brief, und Nechama träumt immer noch davon,  dass Jaki zurückkehren würde. Obwohl Menachem Jahre vorher verstarb, ist er immer noch im Haus präsent. Eines Tages ruft Jaki an. Sein Sohn Gil kommt zum Zivildienst nach Israel, und sie möge ihn eine Unterkunft gewähren. Nechama ist geschockt.

Der Roman beschreibt drei Generationen, und wie diese aufeinander treffen. Die Inneren Monologe von Nechama sind sehr gut geschrieben, und man fühlt mit den Betroffenen mit. Und man stellt sich beim lesen natürlich die Frage: Ist ein vergeben eigentlich möglich?
Die Frage ist voller Ja/Neins, aber der Roman ist ein erster Schritt zur Antwort.

5. Die Sonnenblume, Sahar Khalifa
Ich glaube, von allen Romanen die ich bisher von Sahar Khalifa gelesen habe, ist "Die Sonnenblume"(im Original: Abbad al-Schams) wohl das überzeugendste Werk von ihr. Der Roman eine Fortsetzung ihres Debutromans "Der Feigenkaktus" von 1976, und ist gleichzeitig ein eigenständiges Werk. Der Roman handelt von drei Frauen, die alle Aussenseiter in der arabischen Gesellschaft sind. Zum einen die Hauptdarstellerin Sadija, die eine Witwe ist, zum zweiten Rafif, die Journalistin ist und somit auch eine emanzipierte Frau ist, und zum dritten Chadra, eine Prostituierte die sich von niemanden was sagen lässt.

Sadija arbeitet als Näherin zuhause, um ihre Kinder und sich ernähren zu können. Sie wird um ihren Erfolg als Näherin von den Nachbarinnen in ihrem Stadtteil von Nablus beneidet und verachtet. Eine Schlüsselszene kommt bei Sadijas unfreiwilligen Ausflug nach Tel Aviv. Dort trifft sie in einem Restaurant auf die Prostituierte Chadra, die Sadija mit ihrem Mundwerk schockiert. Chadra lockt Sadija dann auf einen Egged-Bus, und dort flirtet sie dann die ganze Zeit mit dem Busfahrer, bis sie ihn dann überredet, zum Strand zu fahren. Kurz nachdem der Bus dann vom Kurz abwich, werden sie schon von der Polizei verfolgt. Chadra und Sadija landen im Gefängnis. Beide erhalten dort Prügel. Und Chadra hat dazu nichts anderes zu sagen als:

"Ha, sie haben mir eine Tracht Prügel verpasst, die sich sehen lassen kann. Aber was soll´s? So was habe ich schon oft erlebt, wie ich Haare auf den Kopf hab. Der Vater verprügelt einen. Der Ehemann verprügelt einen. Die Juden verprügeln einen. Prügel hier Prügel da. Aber weiss Gott, die Prügel von den Juden sind besser. Da fühlt man sich wenigstens geachtet. Morgen geh ich raus und erzähl aller Welt: Ihr könnt mir´s glauben, ha genau! Das Gefängnis ist auch was für Frauen, ihr Männer, ha!"          
Die beiden Frauen kommen sich näher, und nach der Rückkehr ins Westjordanland trennen sich ihre Wege. Bis sie sich dann eines Tages im Badehaus begegnen. (....)

Währenddessen versucht die Journalistin Rafif, von ihren Mänlichen Kollegen anerkannt zu werden.

6. Was mir zusteht, Parinoush Saniee
Im Roman (im Original: Saham-e Man) geht es um Masumeh, die während der Ära des Schahs mit einem Mann verheiratet wird, den sie vorher nie gesehen hatte. Zu ihrem Glück ist er westlich orientiert, und ist im kommunistischen Untergrund aktiv. Als die islamische Revolution 1979 anbricht, verändert sich alles.

Parinoush Saniee beschreibt hier sehr gut ein Porträt einer jungen Frau, die in ihrer Jugend ein Martyrium durchleben muss. Vom Vater und von den Brüdern misshandelt, wird sie nach einer angeblichen Affäre aller Freiheiten beraubt und dann anschließend verheiratet wird. Obwohl sie in der Ehe alle Freiheiten geniest, ist ihr Leben nicht leichter geworden. Ihr Mann lebt gefährlich, wegen seiner politischen Aktivitäten, und eines Tages werden mehrere seiner Freunde aus dem Untergrund hingerichtet. Als einer ihrer Söhne später zum Anhänger Khomeinis wird, scheint alles verloren.  

Der Roman erinnert einen auch an die Freiheiten der Frauen während der Ära des Schahs. Es war zwar nicht alles perfekt, aber man konnte leben, und die ganzen Freiheiten, die wir  hier in der westlichen Welt  geniessen, wurde den Menschen nach der Revolution 1979 geraubt.

7. Ich will leben, Nina Lugowskaja
Das Tagebuch (im Original: Chotschu shit) eines jungen Mädchens, dass die Perspektivlosigkeit des stalinistischen Russlands nicht mehr ertragen konnte. Nina Lugowskaja war ihr Name, und sie hatte ein unglaubliches Talent zum schreiben. Sie fing 1932 mit den Tagebuchführen an, im Alter im 13 Jahren. 1937 hört sie auf - denn eines Tages im Frühjahr 1937 wurde das Haus der Familie durchsucht - und die Tagebücher wurden entdeckt. In den Tagebüchern wurden Sätze entdeckt, die Stalin und dem Kommunismus gegenüber extrem kritisch wahren - und nicht nur die Sätze und Passagen wurden verurteilt: auch die Stellen, wo sie sich über ihr eigenes Leben und psychologischen Problemen schreibt, galten als "Konterrevolutionär".

Nina und ihre ganze Familie wurden nach Sibirien geschickt, wo sie bis zum Ende der 40´er Jahre bleiben. Im Exil in Sibirien heiratet sie einen Juden, Viktor Templin. Das "witzige" an der Sache ist, dass sie besonders in ihren frühen Tagebüchern mehrere antisemitische Passagen ist - bis heute existiert in Russland ein extremer Antisemitismus in vielen teilen der Bevölkerung. Viele Jahre nach Stalins Tod gaben viele an, von dem Terror Stalins nichts mitbekommen zu haben - Nina Lugowskajas Tagebuch beweist das Gegenteil. Sie beschrieb unter anderen, wie hungrige Menschen vom Lande in die Stadt kamen, auf der Suche nach Essen - und dann zurückgeschickt wurden. Sie beschreibt auch, wie diverse Personen plötzlich "verschwinden".

Nina Lugowskaja kann man irgendwie auch die "Anne Frank des Stalinismus" nennen. Allerdings hatte Anne Frank nicht das Glück, lebendig aus dem Lager zu kommen. Nach ihrer Entlassung aus dem Lager hat Nina nie mehr geschrieben, stattdessen hat sie gemalt. Erst nach ihrem Tod wurden ihre Tagebücher (nachdem sie in alten KGB-Archiven gefunden wurden) veröffentlicht. Ich kann jeden dieses Buch ans Herz legen.

8. Im roten Eis - Schicksalswege meiner Familie 1933-1958, Sonja Friedman-Wolf
"Im roten Eis" ist ein besonderes Buch. Es wurde 1962 geschrieben, aber erst dieses Jahr (2013) veröffentlicht. Die Autorin, Sonja Friedman-Wolf, beschreibt hier ihr Leben. Geboren wird sie in eine Familie deutsch-jüdischer Kommunisten in Berlin 1923. Nachdem die Nazis 1933 an die Macht kamen, zieht die Familie Wolf erst für eine Weile in die Schweiz, wo Sonja dort Lion Feuchtwanger trifft. Im selben Jahr beschließen ihre Eltern jedoch, ins kommunistische Paradies, der Sowjetunion, zu ziehen. Sonja und ihrem Bruder kommt das Leben in Moskau allerdings nicht geheuer vor; die Eltern sind noch sehr von ihrer kommunistischen Überzeugung geblendet.  

Nach einer Weile beginnen die stalinistischen Säuberungen, und Leute verschwinden. Der Vater verschwindet auch - und dennoch hält die Mutter am Kommunismus fest - bis sie kurz nach Kriegsbeginn Selbstmord begeht. Sonja beginnt eine kurze Karriere als Informantin des sowjetischen Staatsapparats - bis sie und ihr Bruder nach Sibirien deportiert werden. Ihr Bruder stirbt an der Front. Sonja trifft in Sibirien auf den litauischen Juden Israel Friedman, den sie dort auch heiratet. 1944 kommt dann Tochter Esther Asnat zur Welt. Israel und Esther können das Lager schon 1945 verlassen, Sonja selbst muss noch bis 1948 warten, um raus zu kommen. In Litauen beginnt sie dann ein neues Leben - dennoch muss sie mit ansehen, wie Stalins antisemitische Kampagnen das Land auf den Kopf stellen. Nach Stalins Tod ändern die Dinge sich ein Wenig. 1958 wandern sie in die DDR aus - wo sie unterschreiben, niemanden von den Erlebnissen in der UdSSR zu erzählen. In der DDR trifft Sonja auch auf andere, die als Kinder mit den Eltern nach Moskau auswandern - allerdings will niemand darüber sprechen, um bei der SED mit zu marschieren.

Das ganze erinnert Sonja dann aber zu sehr an den Nationalsozialismus als auch den Stalinismus, und im selben Jahr flüchtet die Familie dann nach Westberlin, und dann anschließend nach Israel.  1962 schreibt sie ihre Memoiren, allerdings will kein deutscher Verlag sie veröffentlichen. 1986 begeht Sonja Friedman-Wolf in ihrer Wohnung in Tel Aviv Selbstmord.

Ich kann jedem dieses Buch empfehlen, besonders jetzt in diesen Tagen, wo die Taten Stalins (oft auch der Antisemitismus in der UdSSR generell) oft verharmlost werden.            

Jeden der hier genannten Bücher kann ich vollen Herzens empfehlen! Ich bin jetzt voll gespannt wie viele Bücher ich bald im neuen Jahr 2014 verschlingen werde. Auf jeden Fall etwas von Esther David und Sahar Khalifa.                                  

FILMKRITIK: The Devil & the Song (Südafrika 1989) (2/10)

Regie: Bromley Cawood  Produktion: P.G. du Plessis, Albie Venter, Frederik Botha Drehbuch: P.G. du Plessis Musik: Bles Bridges Darsteller: V...