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Donnerstag, 29. Dezember 2016

Bücher, die mich dieses Jahr bewegt haben - 2016

Seit 2013 bespreche ich Bücher, die ich im Jahr gelesen habe und die mich besonders berührt haben. Lasst uns nun anfangen:

1. Feuer, Chaim Noll
Der Roman "Feuer" erschien im Winter 2010, also nur Monate vor der Atom-Katastrophe von Fukushima. Im Roman geht es um ein riesiges apokalyptisches Unglück, dass ein großes Gebiet in Deutschland betroffen hat. Eine Gruppe von mehreren Personen, die dieses Unglück in einer grossen Stadt erlebten, flüchten nun durch den Wald, auf der Suche nach Zivilisation. Unter ihnen sind Frau Silberblick, eine Orthodoxe Jüdin, Jonathan, ein Gymnast, Alma, eine Studentin aus reichem Hause, das Ehepaar Fink, Collande, ein Unruhestifter, und ein katholischer Priester. Auf dem Weg in die Zivilisation finden sie Leichen, verlassene Dörfer, und andere schreckliche Dinge. Am Ende kommen sie in die Zivilisation - und entdecken, dass diese sich in eine Dystopie entwickelt, die jegliche Hinweise auf die große Katastrophe verschleiern will.

Am Ende bekam ich fast ein Schock, als ich die Allegorie dahinter verstanden habe. Ich habe mich danach sogar an Chaim Noll selbst gewendet, und habe ihn gefragt, ob es eine Fortsetzung geben würde. Er habe vorher nicht darüber nachgedacht, würde es sich aber überlegen. Da bin ich ja mal gespannt. Wie dem auch seih, ich kann jeden diesen Roman empfehlen.

2. Hier kommt der Messias!, Dina Rubina
"Hier kommt der Messias" (Вот идёт Мессия!) ist der erfolgreichste Roman der russisch-israelischen Schriftstellerin Dina Rubina, die in Taschkent aufgewachsen ist und 1990 nach Israel ausgewandert ist.

Im Roman geht es um das Leben verschiedener russischer Einwanderer in den 1990´er Jahren, als die russische Einwanderung ihren Höhepunkt erreichte. Wir erleben hier mit den Charakteren den Kulturschock, das nostalgische Heimweh, und oft auch die Konfrontation mit ihrer eigenen Jiddischkeit, die viele von ihnen in der Sowjetunion verschwiegen haben oder überhaupt nicht kannten.

Eine der Geschichten die mich faszinierten waren die Geschichte vom Konvertierten Uri Bar-Chanina.

Das Buch ist derzeit leider schwer erhältlich - ich habe es letztes Jahr gebraucht über einen dritten Anbieter gekauft, und es dauerte auch so einige Wochen bevor es ankam. Dieses Jahr hatte ich jedoch nun auch endlich Zeit es zu lesen, und es war ein Genuss. Dina Rubinas Erzählkunst ist genau wie bei Ljudmila Ulitzkaja sehr russisch und dennoch sehr jüdisch, besonders in den sehr sarkastischen Situationen, in denen sie ihre Figuren steckt.

3. Du bist nicht so wie andre Mütter, Angelika Schrobsdorff
"Du bist nicht so wie andre Mütter" ist eines der besten Bücher die ich dieses Jahr gelesen habe. Erschienen ist es in den 1990´ern, als die Autorin des Buches noch in Jerusalem lebte. Angelika Schrobsdorff ist diesen Sommer im Alter von 88 Jahren in Berlin gestorben.

Der Roman ist eine autobiografische Erzählung über ihre sehr assimilierte, luxuriöse Kindheit im Berlin der 30´er Jahre und ihre Jahre in Bulgarien während des Krieges.

Der Roman fängt mit der Kindheit und Jugend ihrer jüdischen Mutter an. Für mich als Orthodoxer Jude war dieser Teil des Buches sehr gruselig, da es beschreibt wie sehr sich ihre Mutter schon als Kind vor allem jüdischen grauste und ein Teil der "deutsch-christlichen" Welt sein wollte. Ihre ersten beiden Kinder lässt sie taufen, aber Angelika selbst - die ironischer weise am Weihnachtsabend 1927 auf die Welt kommt - wird verschont. Danach wird beschrieben wie Angelika als Kind mehr oder weniger verhätschelt wird und wie ihre Mutter das Weltgeschehen aus dem Hause heraushält, und wie sie ihrer Tochter das Jüdischsein verschweigt und so tut als sei alles gut. Bis zur Kristallnacht. Ein Jahr darauf heiratet ihre Mutter einen Bulgaren und zieht dorthin. Kurz darauf reisen Angelika und ihre ältere Schwester Bettina mit, und erfahren daraufhin dass sie dort bis auf ungenaue Zeit dort bleiben werden. Dann fängt der 2. Weltkrieg an, und Angelika freut sich erst auf die Siege der Deutschen - bis ihr eigener Vater sie darauf hinweist, dass das, was die Deutschen tun, schlecht ist. Kurz darauf erfährt sie, dass sie Jüdin ist. Das verändert alles.

Das war sehr faszinierend zu lesen, wie Angelika sich von einem naiven, verhätschelten, Weltfremden Mädchen in eine junge, selbstbewusste jüdische Frau entwickelt, und wie sie erkennt, dass ihr gesamtes Leben bis dahin eine reinste Lüge war.

Ich werde nun auch mehr von Angelika Schrobsdorff lesen.

4. Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer, Alex Capus
Noch ein sehr langer Titel. Der hier hat jedenfalls eine interessante Vorgeschichte, von meiner Sich jedenfalls. Ich kaufte das Buch auf dem Wiener Flughafen im Herbst 2013, und fing daraufhin an ihn zu lesen. Mit mehreren Pausen dazwischen habe ich es im Frühling diesen Jahres nach 3 Jahren endlich geschafft ihn fertig zu lesen.

War schon ein Erlebnis.

Der Roman erzählt die Lebensgeschichten der im Titel genannten - bei Namen: Emile Gilliéron (1885-1939), Laura D´Oriano (1911-1943) und Felix Bloch (1905-1983). Es ist schon fantastisch wie viel Alex Kapus hier recherchiert hat, und die damalige Zeit wird einen lebendig und man kann es sich dann auch so richtig vorstellen. Allerdings muss ich sagen, dass von den drei Lebensgeschichten nur die von Laura D´Oriano und Felix Bloch interessant wirken - so erlebte ich es jedenfalls. In der zweiten Hälfte wird Gilliéron auch mehr oder weniger vergessen, und es konzentriert sich dann vermehrt auf D´Oriano und Bloch. Vielleicht währe es besser, wenn Capus sich nur auf die beiden konzentriert hätte - aber sonst ist der Roman recht gut geschrieben. Ich fand es jedenfalls sehr schön als ich das Lesen des Romans endlich nach 3 Jahren abschließen konnte.

5. Kaddisch für mein Schtetl, Grigori Kanowitsch
Nun zum wohl persönlichsten Roman des litauisch-jüdischen Schriftstellers Grigori Kanowitsch, "Kaddisch für mein Schtetl" (Местечковый романс). Der Roman erzählt die Geschichter seiner Familie im Schtetl von Jonava, und wie seine Eltern zueinander fanden, und wie seine Mutter dem Druck ihrer Schwiegermutter standhielt.

Dann von den glücklichen Jahren seiner Kindheit, die er mit seiner Großmutter väterlicher seits teilt, eine Zeit die 10 Jahre hält, bis zur sowjetischen Invasion 1939. Dies ist ein sehr interessanter Teil des Romans - hier wird beschrieben, wie die sowjetischen Besatzer mehrere Synagogen geschlossen haben und das hebräische als Unterrichtssprache verbieten. Somit ist dies der Anfang vom Ende des Schtetl-Lebens. Einer seiner Onkel ist überzeugter Kommunist, und dem war es sehr egal wie die neuen Machthaber seine jüdischen Brüder und Schwestern behandelten. Es wird nicht erwähnt, wie sein weiteres Schicksal in der Sowjetunion verlief, aber bestimmt endete er im Gulag.

Als die deutschen 1941 angreifen, sieht er dann seine geliebte Großmutter zum letzten Mal - sie will die Gräber ihrer Vorfahren nicht verlassen.  Letztendlich flieht er mit seinen Eltern in die Sowjetunion, und nach der Rückkehr nach Litauen 1945 ist alles was vorher da war ausgelöscht worden.

Ein sehr wichtiger Roman über das Ende des litauischen Judentums und der Schtetl-Kultur an sich.

6. Schlaflos in Tel Aviv, Chaim Noll
Die neueste Sammlung von Kurzgeschichten von Chaim Noll - die zweite nach "Kolja" aus dem Jahre 2012 (Besprechung folgt). Einige der Geschichten sind schon viele Jahre alt, und man kann es auch auf dem Schreibstil merken. Einige davon spielen in der DDR, andere im Modernen Israel und haben Bezug auf die heutige Situation.

Die erste Geschichte erzählt von einem 17 Jährigen Schüler im Ostberlin der 60´er Jahre, der um Geld für eine Fahrkarte bettelt. Letztendlich gibt eine ältere Frau ihn das nötige Geld, und fragt ihn, ob er Deutscher sei - welches er bejaht. Daraufhin sagt sie "...ein Deutscher bettelt nicht!"

In einer anderen Geschichte finden wir uns in einer Psychiatrie in der DDR wieder, wo ein Wehrdienstverweigerer einsitzt, angeblich weil er Alkoholiker sei. Eine ältere Ungarin fragt ihn daraufhin "Bist a Jud?" - und sagt daraufhin "Aber du weisst, Juden trinken nicht." Die Einrichtung der Psychiatrie - eine Villa umschlungen von Efeu - ist mehr oder weniger der Mikrokosmos der die DDR war, mit anderen Worten in einer Nussschale. Das Schicksal der Juden der DDR ist ein leider oft ignoriertes Thema, und ein typisches Schicksal findet sich in der Geschichte um Olga - über die Geschichte will ich jetzt nichts verraten.

Eine Geschichte die mich besonders beeindruckte war "Völkerrecht", in der eine deutsche Konvertitin darunter leidet dass ihre Schwester sich weigert sie in Israel zu besuchen wegen den angeblichen Kriegsverbrechen Israels.

Alles in allen ein würdiger Nachfolger zu "Kolja".

7. Ich muss ja den Weg gehen, den ich gehen kann, Fred Düren
Letztes Jahr ist im Frühling der legendäre ehemalige DEFA-Schauspieler Fred Düren von uns gegangen, und wurde auf dem Ölberg in Jerusalem beerdigt.

Das Buch ist aus dem Jahre 2008, gibt jedoch gute Einblicke in sein Leben durch diverse Interviews.

Er lebte ein bewegtes Leben: Anfänge im Theater, ab den 60´er Jahren sehr beliebter Charakterdarsteller sowohl bei der DEFA als auch beim Theater. Mitte der 80´er Jahre meldet er sich aus der SED raus, konvertiert zum Judentum, und macht kurz darauf Alija und wird einige Jahre danach Rabbiner. Wie in einem der Interviews im Buch erwähnt wird, ein riesiger Schritt zurück, aus kommunistischer Sicht, da man ja "Fortschritt" macht wenn man sich ganz von der Religion verabschiedet.

In den Interviews erzählt er auch, wie glücklich er war nun als Orthodoxer Jude in Jerusalem zu leben, und wie er nichts vom Leben in der DDR vermisste. Auch sagte er, dass die meisten Friedensdialoge naiv sind, und dass es wohl nie zum Frieden da unten kommen wird.

So, das war es für dieses Jahr!

Ein gesamter Jahresrückblick wird es dieses Jahr nicht geben, da mir die Zeit dazu fehlt. Vielleicht werde ich kurz nach Neujahr einen kleineren Rückblick schreiben.

Dienstag, 29. Dezember 2015

Bücher, die mich dieses Jahr bewegt haben - 2015 Version

Endlich kommen wir zu dem Rückblick, auf dem ich mich immer am meisten freue! Der Bücherrückblick. Hier schreibe ich immer über Bücher die mich im Jahr besonders bewegt haben. 2013 fing ich damit an, und folgte dem auch 2014.  Fangen wir an:

1. Das grüne Zelt, Ljudmila Ulitzkaja
"Das grüne Zelt" (Зеленый шатер) ist das Opus Magnum von Ljudmila Ulitzkaja. Der Roman erzählt von den Leben von drei Freunden und drei Freundinnen und deren Umgangs-kreis und Familien. Die drei Freunde sind Ilja Brjanski, Sanja Steklow und Micha Melamid. Ilja wird Photograf und bespitzelt für den KGB, während Sanja später eine Amerikanerin heiratet und auswandert. Micha ist Jude, und leidet unter antisemitischen Anfeindungen des KGB. Die Freundinnen sind Olga Brjanskaja, Galja Poluchina und Tamara Brin. Olga ist Übersetzerin und zweite Ehefrau von Ilja - nachdem sie von seiner Tätigkeit beim KGB erfährt, fällt sie in eine Krise, da sie trotz linientreuer Erziehung immer wieder Samisdat-Literatur im Umlauf brachte. Galja ist Olgas beste Freundin, und toleriert nur die Jüdin Tamara. Tamara ist wie gesagt Jüdin, und erlebt als Kind die Reaktion auf den Tod Stalins und hat als Erwachsene Biologin eine Affäre mit dem bereits verheirateten orthodoxen Juden Marlen Kogan, Michas Cousin. Als sie später Marlen und seiner Familie hilft, nach Israel auszureisen, verfällt sie in eine tiefe Krise, da sie Marlen vermisst - daraufhin fängt sie eine Affäre mit dem Christentum an, und geht Sonntags zur Messe. Alles während der moderneren Geschichte der Sowjetunion, die mit dem Tod Stalins im Jahre 1953 anfängt und mit der Perestrojka endet.

Der Roman der russisch-jüdischen Autorin hat wohl den besten Prolog der je geschrieben wird. Er fängt zu Purim 1953 an, der Tag, wo Stalin starb. Alles gesehen mit den Augen von Tamara Brin, die von der "alten Sprache" der Mutter und Grossmutter redet, und wie die hebräischen Buchstaben Samech und Lamed gebraucht werden wenn diese über Stalin und Lenin sprechen. Die Grossmutter sagt, ihre Tochter solle Süßigkeiten kaufen, da es Purim ist und sie spürt, "Samech sei krepiert":

"Rajetschka, kauf im Jelissejewski etwas Süsses. Heute ist nämlich Purim. Ich denke doch, Samech ist krepiert."
Nachdem dann im Radio bestätigt wird, dass Stalin gestorben ist, fängt Tamaras Mutter an zu weinen - Tamara selbst versteht nicht warum.

Die Figur der Tamara Brin ist ein Ebenbild der Autorin selbst, da Ulitzkaja selbst mal als Biologin arbeitete und eine Zeit lang mit dem Christentum flirtete - und als Kind nicht verstand, weshalb die Menschen um sie herum Stalin betrauerten. Ein sehr guter Roman, bei dem ich ein ganzes Jahr gebraucht habe, um ihn fertig zu lesen.

2. Sophia - oder der Anfang aller Geschichten, Rafik Schami
Dieser ist wohl eines der besten Romane die ich dieses Jahr gelesen habe. Rafik Schami ist ja bekanntlich ein sehr guter Autor, der die syrische Erzähltradition mit der westlichen vermischt, und oft Magischen Realismus benutzt. In diesen Roman verzichtet er auf den Magischen Realismus, und benutzt stattdessen wahren Realismus in form einer Chronik. Eine Chronik, die im Damascus der 40´er Jahre anfängt und am Vorabend des syrischen Bürgerkrieges endet.

Im Damascus der 40´er Jahre verliebt sich der Moslem Karim in die katholische Sophia, die ihn abweist und stattdessen eine arrangierte Ehe eingeht. Als Karim später Opfer einer Intrige wird, rettet Sophia ihm das Leben. Als Sophias Sohn Salman in den 60´er Jahren Widerstand gegen das Regime leistet, flüchtet dieser über Libanon nach Deutschland, bis dieser eine Familie in Rom gründet. In der Zwischenzeit ist Salmans Cousin Elias ein Karrierist beim syrischen Geheimdienst geworden, nachdem dieser in den 60´ern Salman und andere im Widerstand bespitzelt hatte. Im Winter 2010 reist Salman wieder nach Syrien, nachdem seine Mutter bei Elias sichergestellt hatte, dass Salman keine Probleme bekommen würde bei der Einreise. Aber Elias hatte gelogen, und setzt eine Fahndung gegen Salman ein.

Der Roman gibt einen guten Einblick in die Psyche der orientalischen Christen, die damals am Anfang des 20. Jahrhunderts den arabischen Nationalismus begründeten, allerdings von der muslimischen Mehrheit verdrängt wurden. Der Roman erinnert einen dann auch, was für ein Monster Hafez al-Assad war - und sein Sohn Baschar immer noch ist.

3. Unterwerfung, Michel Houellebecq
"Unterwerfung" (Soumission) habe ich hier auf die Liste getan, nicht weil er mich besonders berührt hat, sondern weil er mich irgendwie sehr zum nachdenken gebracht hat. Schon Wochen vor der Herausgabe der deutschen Übersetzung gab es eine regelrechte Hetze in den Medien gegen den Autor - neben der angeblichen rassistischen, Islamfeindlichen Natur des Romans wurden auch immer wieder Michel Houellebecqs Vergangenheit mit der komischen Rael-Bewegung (immerhin haben die Medien so gut wie gar nichts über Günther Grass´ SS-Vergangenheit gesagt).

Der Roman spielt im Frankreich des Jahres 2022, die Hauptperson ist der Akademiker Francois - er wird Zeuge wie der muslimische Politiker Ben-Abbés mehr und mehr Wähler bekommt. Letztendlich wird Ben-Abbés Staatspräsident und ändert die säkulare Verfassung in eine theokratische Sharia-Verfassung. Francois jüdische Studentim Myriam wandert währenddessen mit ihrer Familie nach Israel aus.  Die Gesellschaft verwandelt sich nun in eine Dystopie, wenn auch sehr langsam. Das war´s dann nun von der Handlung - und ich muss sagen, dass ich während des Lesens kein Rassismus feststellen konnte noch eine Verallgemeinerung dass alle Muslime Terroristen oder einfach wegen ihres Glaubens schlechte Menschen sind.

Mir ist, als haben die Linken die so lange gegen Houellebecq gehetzt haben, den Roman wohl gar nicht gelesen haben - und wie ich die kenne, haben die das in Zukunft wohl auch gar nicht vor.

4. Der Schmuggel über die Zeitgrenze, Chaim Noll
 Die Erinnerungen von Chaim Noll - es dauerte eine Weile, bis dieser veröffentlicht wurden. Ich hatte das Buch schon vorbestellt, und erwartete dass es Anfang März veröffentlicht wird. Nun den, Monika Maron war nicht erfreut über das kurze, was über sie erwähnt wurde. Also wurde es geschwärzt und erst im Mai geliefert. Hat mich aber nicht daran gehindert, das geschwärzte vorsichtig zu entfernen. Tja. 
Im Buch erzählt Chaim Noll über seine priviligierte Kindheit und Jugend in geteilten Berlin. Über die Wohnung in Prenzlauer Berg, und die Grundschule, wo er mit Nina Hagen befreundet war. Später ging er auch in einer Klasse mit Tamara Danz. Aber nicht nur über das geht es im Buch - auch über die jüdische Herkunft seiner Familie geht es. So wissen nur sehr wenige, dass Dieter Noll eine jüdische Mutter hatte die den KZ Theresienstadt überlebte. Und nach den antisemitischen Kampagnen der frühen 50´er Jahre hat Dieter Noll diesen Teil seiner eigenen Familiengeschichte verschwiegen - stattdessen wollte er als ehemaliger Flakhelfer gesehen werden, der nun hilft, den Sozialismus aufzubauen.

Hans, Chaims Geburtsname, fühlte sich schon sehr früh zum Judentum hingezogen. Der Bruch mit dem Staat kommt offiziell aber erst, als er Anfang der 80´er Jahre den Wehrdienst verweigert. Danach reist er mit seiner Frau, Sabine Kahane, und deren Kinder in den Westen aus. Ich habe das Buch innerhalb eines Tages verschlungen.

5. Daniel Stein, Ljudmila Ulitzkaja
Das zweite Buch von Ljudmila Ulitzkaja auf dieser Liste, Daniel Stein (Даниэль Штайн, переводчик) Das war ein richtiges Abenteuer....ich bestellte das Buch Ende Mai, und sagte mir dann, ich würde es erst lesen bei meiner spontanen Reise nach Flensburg. Ich war von der ersten Seite gefesselt. Der Roman ist eine literarische Kollage, basierend auf dem Leben von Oswald Schmuel Rufeisen, ein Jude der während des Krieges mehrere Menschen rettete, dann in den Untergrund ging, sich in einem Kloster versteckte und dort katholisch wurde, und Mönch wurde. Nach dem Krieg zog er nach Haifa, in der Nähe seines Bruders und dessen Familie.

Ljudmila änderte die Namen der Personen und hat hier und da ihre künstlerische Freiheit benutzt. Neben den verschiedenen Lebensstadien Bruder Daniels handelt der Roman auch von Ewa Manukjan, eine polnische Jüdin die dank Daniel den Krieg überlebte, und ihrer frustrierenden Beziehung mit ihrer kommunistischen Mutter Rita Kowacz (Dwoire Brin), die seit sie aus Polen nach dem Krieg 1967 nach Israel verbannt wurde in einem Altersheim in Haifa wohnt. Ihre Mutter war während des Krieges Partisanin - nachdem sie Ewa und ihrem Bruder Witek in einer katholischen Waisenhaus lies, setzte sie sich in Stalins Sowjetunion ab - wo sie dann mehrere Jahre im Gulag verbrachte.  Ewa selbst heiratete später einen deutschen Studenten aus der DDR - und wanderte dann mit ihm nach Amerika, wo sie sich dann scheiden ließen. Später macht Ewa sich auf die Suche nach Daniel - und nach seinem Tod macht sie dann selbst Recherchen...

Der Roman erinnerte mich wieder daran, warum ich das Land Israel so liebe. Eines dieser Gründe wird hier gebraucht - die Tatsache, dass jeder seine eigene Geschichte hat. So kommen hier verschiedene Geschichten vor - eine von ihnen ist über eine Nonne aus Vilna, die einen Priester jüdischer Abstammung heiratet und daraufhin mit ihn nach Israel auswandert - und kurz nach der Geburt ihres Sohnes lassen sie ihn beschneiden. Eine andere handelt von einem Refusenik, der nach seiner Ausreise aus der Sowjetunion nach  Hebron zieht und dort eine Familie gründet - und später Helfer von Baruch Goldstein wird...

Alles in allem ein Plädoyer an die Toleranz und dem Frieden aller Glaubensrichtungen, und ein großartiges literarisches Denkmal für Oswald Rufeisen.

6. Die Unamerikanischen, Molly Antopol
Das literarische Debut der amerikanisch-israelischen Schriftstellerin Molly Antopol ist mir in den Osterferien ganz zufällig in Flensburg aufgefallen - ein sehr schöner Zufall!

Wie ich in der Besprechung oben schon erwähnte, liebe ich es, dass jeder in Israel so seine eigene Geschichte hat - aber hier ist es nicht nur in Israel, sondern auch das Amerika der 50´er, der Untergrund gegen die Nazis in Weißrussland, die Tschechoslowakei der 60´er, und andere Orte.

Die Sammlung fängt gut an - ein amerikanischer Jude ist genervt von seiner neureligiösen Tochter und ihrem israelischen Ehemann, und heiratet daraufhin eine ukrainische Jüdin. Auf deren Hochzeitsreise nach Kiew vergessen die auf einmal, dass sie sich lieben.

Der Ton in den einzelnen Erzählungen variiert - manchmal hat sie einen sehr humoristischen Ton, und manchmal ist der Ton ziemlich tragisch - so sollte eine Anthologie auch sein! Das letzte Mal wo ich so sehr eine Anthologie genossen habe war 2010 im Flug nach Miami mit Stephen Kings Just after sunset. Ich freue mich schon auf die kommenden Werke von ihr!

7. Die Kehrseite des Himmels, Ljudmila Ulitzkaja
Die Kehrseite des Himmels (Священный мусор) ist eine Sammlung von Erinnerungen, Gedanken und Essays die Ulitzkaja im Laufe der Jahre seit dem Ende der Sowjetunion geschrieben hat. Der Teil mit dem Hintergrund ihrer Familie ist sehr interessant - wie sie ihren Großvater erst kennen lernte, nachdem dieser aus dem Gulag zurückkehrte und dann einige Jahre danach starb.

Da ist auch ein Essay aus der Zeit, wo Putin gerade an die Macht kam - wo sie schon ihr misstrauen ausdrückt, gerade weil er beim KGB war. Sie hatte recht. Damals konnte niemand vorhersehen, dass er eine Diktatur kreieren würde, die allerdings die Kirche die selbe Rolle gibt wie zur Zeit der Zaren.

Wer Russland wirklich verstehen möchte (ohne die Propaganda der Putinistin Gabriele Krone-Schmalz) muss dieses Buch lesen. Ich finde es ehrlich gesagt gruselig, dass "Progressive" wie die Linkspartei (eine Partei, die ich generell nicht traue) alles was die Diktatur Putins anstellt unterstütz- seltsamerweise sind diese immer sehr still wenn Homosexuelle verfolgt werden und Leute schikaniert werden, wenn diese sich kritisch äußern.

Eine weitere Lesenswerte Stelle ist da, wo sie Auszüge aus ihrem Tagebuch offen legt - aus der Zeit wo sie wegen ihrer Krebsbehandlung in Israel war. Im Tagebuch spricht sie neben den Details zu ihrer Behandlung auch über die Schönheit Jerusalems, als auch über ihre Arbeit an Das grüne Zelt. Laut dem ukrainischen Schriftsteller Andrej Kurkow verbringt Ljudmila Ulitzkaja selbst dieser Zeit mehr Zeit in Israel als in Moskau - hoffentlich endet sie nicht wie Anna Politkowskaja....

8. Ergebenst, euer Schurik
Nun zum letzten Buch auf der Liste hier - "Ergebenst, euer Schurik" (Искренне Ваш Шурик), wieder ein Roman von Ljudmila Ulitzkaja. Ich habe den Roman innerhalb einer Woche gelesen. Es ist ein Roman über die Liebe in der Sowjetunion, mit einem sehr tragikomischen Helden, eine Art Anti-Don Juan.

Die junge Vera Korn verliebt sich im Moskau der 30´er Jahre in den jüdischen Pianisten Alexander Sigismundowitsch Lewandowski, und beginnt mit ihm eine Affäre. Als der Krieg ausbricht, wird Alexander nach Kasachstan evakuiert, Vera mit ihrer Mutter Jelisaweta Iwanowna nach Taschkent. Nach dem Krieg trifft Vera ihn wieder - und zeugt einen Sohn mit ihm. Lewandowski stirbt kurz darauf, und lernt seinen unehelichen Sohn nie kennen. Der Sohn bekommt den Namen Alexander, genannt Schurik.

Schurik wächst in liebevoll-chaotischen Zuständen bei seiner Mutter und Grossmutter auf, und verliebt sich später in die Jüdin Lilja. Lilja wandert dann in der Tauerperiode der 70´er Jahre mit ihren Eltern nach Israel aus. Kurz darauf beginnt er eine Affäre mit der älteren behinderten Matilda an, und wird von der Kasachin Alja angehimmelt. Als Lena, Tochter eines Linientreuen Funktionärs in Sibirien, ein uneheliches Kind von einem afro-kubanischen Studenten erwartet, reist Schurik zusammen mit ihr nach Sibirien und lässt sich mit ihr trauen - ohne dass seine Mutter und Großmutter etwas davon erfahren.

Ein wundervoller Roman über das Leben und die Liebe, dass zum einen wirklich komisch ist und manchmal zum weinen ist.

Das war´s mit den Buchempfehlungen für dieses Jahr, sehen uns nächstes Jahr wieder!

Nachtrag: ich vergas gestern dieses Buch:

9. Jossel Rakovers Wendung zu G"tt, Zvi Kolitz
Wow. Dies ist eine von denen Büchern, die man nach dem aufklappen nicht mehr aus der Hand legen kann. Ich habe das Buch zweisprachig jiddisch-deutsch ganz während meiner Reise im Zug zurück nach Kopenhagen gelesen. Das war eine wahre Achterbahn der Gefühle, mir war beim lesen oft zum weinen! Während des lesen vergas ich ganz die Welt um mich herum!

Der Text des jiddischen Schriftstellers Zvi Kolitz ist ein längerer Monolog eines Gefangenen des Warschauer Ghettos, der um das Geschehen um ihm herum erzählt, und vom Widerstand.

Er redet zu G"tt, und fragt immer wieder, warum das ganze geschieht - letztendlich verliert er trotz der Tragödie nicht seinen Glauben zu G"tt - eine Tatsache, die den meisten Atheisten wohl ein Dorn im Auge ist. Mir war das Buch nach dem lesen noch sehr lange im Gedächtnis - ich finde es seltsam, dass ich nicht vom Buch gehört hatte, bis ich es letztens in Berlin im jüdischen Buchladen nahe der Zentralen Orthodoxen Synagoge fand. Ich hatte im Laden schon ein Gefühl, dass mich dieses Buch nicht loslassen werden würde. Die Ausgabe von Diogenes hat zudem auch faszinierende Zeichnungen von Tomi Ungerer.

FILMKRITIK: The Devil & the Song (Südafrika 1989) (2/10)

Regie: Bromley Cawood  Produktion: P.G. du Plessis, Albie Venter, Frederik Botha Drehbuch: P.G. du Plessis Musik: Bles Bridges Darsteller: V...