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Sonntag, 29. Dezember 2024

Bücher, die mich dieses Jahr bewegt haben - 2024 Version

Es ist wieder Zeit, hier Bücher zu besprechen, die mich dieses Jahr bewegt haben. Letztes Jahr war es 10 Jahre her, dass ich damit angefangen habe, aber dann gab es nichts in den Jahren 2017-2021, aus diversen Gründen. 

Und wie immer, trotz der Nummerierung, ist dies keine Reihenfolge. 

Fangen wir also an. 

1) Medea und ihre Kinder, Ljudmila Ulitzkaja 

Dies ist einer von Ljudmila Ulitzkajas ersten Romanen, und schon hier konnte man merken, was für eine gute Schriftstellerin sie ist. 

Der Roman ist ein Familienroman zentriert um Medea Sinopli, eine pontische Griechin aus Feodosija auf der Krimhalbinsel, und einen Sommer bei ihr in einem Sommer in den 80er Jahren. Sie ist eine Witwe, und obwohl sie und ihr verstorbener jüdischer Mann selbst nie Kinder bekamen, betrachtet sie ihre Nichten, Neffen und deren Kinder als ihre Kinder, und sie ist auch das einzige, was diese Familie zusammenhält. 

Der Roman ist zudem nicht in chronologischer Reihenfolge erzählt, man erfährt von der Ankunft diverser Familienmitglieder in Feodosija, und dann hört man ihre Lebensgeschichte. Es werden dann zudem hier und da einige Dinge erwähnt, die einen zuerst ziemlich trivial vorkommen, bis man dann später wieder mit diesen Dingen konfrontiert wird und man dann einsieht, wie dies gut im Text vorher angedeutet wurde. 

Der Roman wirkt zudem heute, zehn Jahre nach der illegalen Annektierung der Krim im Frühjahr 2014, zudem in einem ganz anderen Licht als zu der Zeit, in der Ulitzkaja den Roman schrieb. Im Vorwort erinnert sie daran, dass die Krim zu Sowjetzeiten ein sehr beliebter Urlaubs- und Kurort war, und sie selbst viele schöne Erinnerungen von dort hat. 

Ich würde auch sagen, dass der Roman ein literarisches Statement für eine nun längst vergangene Zeit auf der Krim ist, und dass nicht nur wegen der Zeit vor der Revolution 1917. Es wird auch die Vertreibung der Krimtataren 1944 angesprochen, und wie viele Establishments dort in den darauffolgenden Jahrzehnten nicht an Krimtataren vermieten wollten - oder durften. 

In Medeas Familie sieht man außerdem wie die pontischen Griechen in andere Nationen der Sowjetunion einheirateten, unter anderen auch Armenier und Koreaner. 

Ein kleines Detail am Anfang des Romans dass ich sehr amüsierend fand war dieses: So besucht Medea das Grab ihres verstorbenen Mannes, der - obwohl er jüdisch war, auf dem griechischen Friedhof lag - als Parteimitglied natürlich einen Stern auf dem Grabstein hatte. Diesen Stern hatte Medea dann später so verändert, dass er wie ein "Weihnachtsstern" aussah. 

2) unterwegs verloren, Ruth Klüger 

Vor zehn Jahren habe ich Ruth Klügers Erinnerungen über ihre Jugend in den Zeiten der Verfolgung und des KZ, weiter leben, hier besprochen. Das Buch endete mit der Migration mit ihrer Mutter, mit der sie ein ziemlich ambivalentes Verhältnis hatte, in die USA. 

Hier geht es dann um die Jahre danach, in den USA. Von ihrer Liebe zur deutschen Sprache und Literatur, und ihrer gescheiterten Ehe mit einem etwas älteren deutsch-jüdischen Einwanderer, und ihr später ebenfalls entfremdetes Verhältnis zu ihren Söhnen und auch dessen Familien. 

Wie in ihren ersten Erinnerungen erzählt sie alles sehr schonungslos und ohne jegliche Sentimentalität, und man kann wirklich verstehen, wieso sie so fühlte. 

Einen Punkt im Buch den ich als sehr interessant fand, war der hier: Als sie damals "weiter leben" geschrieben hatte, schickte sie es - unter anderen - zuerst zum Jüdischen Verlag Suhrkamp, wo es dann abgelehnt wurde, weil es nicht "literarisch genug" war. Kurze Zeit danach trifft sie dann den damaligen Verlagschef, der ihr das damals neu erschienene Buch Bruchstücke von "Binjamin Wilkomirski" gab, und sagte "so schreibt man eine Erinnerung an die Schoa" (oder so ähnlich). Kurze Zeit später kam jedoch heraus, dass das Buch eine reine Fabrikation war, und dass "Binjamin" eigentlich ein Schweizer Nichtjude namens Bruno Dösseker ist der mit dem Buch einige Kindheitstraumen aus der ländlichen Schweiz verarbeitete, indem er sie im Mantel der Schoa kleidete. Somit war er einer der ersten prominenten Kostümjuden. 

Und hier frage ich mich dann, warum müssen Erinnerungen wie die aus der Schoa den "literarisch" sein, wenn diese die Erinnerungen der Person wiedergeben zum Zwecke der Erinnerung sind, damit diese Zeit nie vergessen wird?

Und so wie der Vorgänger ist "unterwegs verloren" sehr kritisch gegenüber der "Museumskultur" der Schoa. 

Ruth Klüger war eine gute Schrifstellerin. Sie starb im Herbst 2020 im Alter von 88 Jahren in ihrem Zuhause in Kalifornien. 

3) Briefe nach Breslau, Maya Lasker-Wallfisch

Ich habe vor 9 Jahren das Buch ihrer Mutter, Anita Lasker-Wallfisch´s "Ihr sollt die Wahrheit erben" gelesen, und war auch wirklich von dem Buch bewegt. (Warum ich das Buch allerdings dann nicht im Post von 2015 erwähnte, weis ich nicht) 

Maya Lasker-Wallfisch´s Buch ist eine Erinnerung an ihr eigenes Leben als Tochter von Überlebenden, und ihre Briefe an ihre verstorbenen Grosseltern und ihrer in Israel verstorbenen Tante, nach der sie benannt wurde. 

Interessant ist, das bei Kindern von Überlebenden sehr oft das Trauma an das erste Kind weitergeleitet wird, im Falle von Maya allerdings wurde das Trauma an ihr, das zweitgeborene Kind, weitergegeben, und nicht an ihren grossen Bruder Raphael. 

Sie erzählt auch, wie sie in die Drogenfalle hereinfiel, dann in eine Beziehung mit einem Jamaikaner kam, der dann ebenfalls in diese Falle kam, und wie sie dann zurück nach England kam, wo sie dann in den Entzug kam und dann wieder ihr Leben beginnen konnte - aber das erst wieder nachdem sie in einer Beziehung mit einem von der Entzugsklinik war, der dann leider wieder in diese Falle fiel. Ich würde diesen Teil des Buches jeden naheliegen, der selbst mit Drogen zu kämpfen hat, denn das ist nichts zum spaßen und kann das Leben zerstören. 

Maya erzählt auch, wie im Haushalt ihrer Eltern nichts jüdisches war - keine Besuche in der Synagoge (eine Tatsache, die ihre Mutter Anita in ihrem eigenen Buch bereute), kein Sederabend zu Pesach, nichts. Maya kam erst mit dem Judentum in Berührung, als sie den Sohn des konservativen Rabbiner Louis Jacobs (1920-2006) heiratete. Diese Ehe hielt auch nicht ewig, aber sie bekam da durch endlich etwas Stabilität in ihr Leben und wurde Mutter. 

Sie erzählt auch von ihrer Reise nach Breslau und Auschwitz mit ihrer Mutter, und wie genervt ihre Mutter von den Filmaufnahmen während der Reise war. 

Das Buch ist jedenfalls sehr gut und geht auch rein in die Psyche von der zweiten Generation der Überlebenden. 

4) Die Schleierkarawane, Ismail Kadare 

Letzten Sommer hatte ich endlich die Gelegenheit Ismail Kadares Novellensammlung "Die Schleierkarawane" zu lesen, und war wirklich erstaunt, wie gut es war - vor allem die erste, Titelgebende Erzählung. 

Kurz nachdem ich den Band gelesen hatte, verstarb Ismail Kadare in Tirana am 1. Juli im Alter von 88 Jahren. 

Nicht, dass ich je was schlechtes erwartet habe, nur ist mir dann aufgefallen wie gut es geschrieben war und wie gewagt der Text war, wenn man weis, dass es in der Spätzeit des stalinistischen Diktators Enver Hoxha (1908-1985) geschrieben ist. Es muss hier gesagt werden, dass Hoxhas Albanien so zusagen das Nordkorea von Europa war, und das jegliche Religion sowie Kritik an dem System verboten war. Und deswegen verlegte Kadare seine Werke meist in die Zeit des Osmanischen Reiches, zu der Albanien mehrere hundert Jahre gehörte, und in der Zeit wurde der Islam auch die vorherrschende Religion des Landes. Hier muss auch gesagt werden, dass Kadare selbst - obwohl in eine muslimische Familie reingeboren - Zeitlebens nie viel vom Islam hielt, dem Christentum jedoch sehr positiv eingestimmt war. Trotz dessen ist er selbst nach dem Zusammenfall des Kommunismus nie (offiziell oder offen) zum Christentum übergetreten. 

Die Kritik am Islam - beziehungsweise der Verschleierung - ist sehr deutlich in der ersten Geschichte, in der ein Gesandter aus Konstantinopel, Hadschi Milet, in den Balkan geschickt wird, um dort den Schleier an den lokalen Frauen nahezulegen. Die Suggestion Kadares ist, dass der Schleier nicht dort hingehört, und dass bekommt der Hadschi Milet auch gut zu hören, auch nach dessen ersten Kontakt mit dem Christentum. Bei seiner Rückkehr wird er wegen diesen Zweifeln, die er wohl im Schlaf ausspricht, von den Machthabern bestraft. 

Die Kritik an das stalinistische System Enver Hoxhas ist hier besonders klar. Überraschenderweise wurde es damals, ein Jahr vor Hoxhas Tod, dennoch veröffentlicht. 

Mehr möchte ich nun nicht verraten. 

5) Der Ausflug der toten Mädchen, Anna Seghers
Diese Novellensammlung von Anna Seghers las ich zum ersten Mal im Dezember 2011, in der Zeit, in der ich sie erstmals entdeckte. In der Zeit war ich auch ziemlich glücklich, der einzige in meiner Klasse zu sein, der wusste wer sie und Isaac Bashevis Singer waren. 

Letzten Frühling habe ich mir den Band wieder durchgelesen, und es ist genau so gut wie damals - ich lese es jetzt auch mit ganz anderen Augen, da ich jetzt auch viel mehr vom Leben weis, als mit 17 Jahren. 

Wie dem  auch sei, die titelgebende Novelle ist eine Erinnerung an einem Ausflug einer Mädchenschule in Mainz kurz vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Die Erzählerin Netty - also wohl die Autorin selbst, die eigentlich Netty Reiling-Radvanyi hieß - im mexikanischen Exil denkt an diesen Ausflug zurück, und über ihre Mitschülerinnen, die sich später entweder gegen das Naziregime wendeten, oder Mitläufer wurden, die dann ihre geehrte alte Lehrerin als Judensau beschimpften. Die Novelle ist somit ein sehr gutes Spiegelbild der Schicksale des 20. Jahrhunderts. Die "toten Mädchen" im Titel selbst sind zweideutig, denn entweder ist es so, dass die später nicht mehr dieselben waren, die sie zur Zeit des Ausflugs waren, oder sie wurden entweder vom Naziregime ermordet oder kamen mitsamt ihren Familien bei den Bombardierungen des Krieges um. 

Meiner Meinung nach ist dies wohl die beste Erzählung Anna Seghers, und es ist schade, dass selbst heute nicht soviel darüber geredet wird, wie zum Beispiel Das siebte Kreuz oder Transit. 

Ich möchte hier zudem noch eine weitere Novelle aus dem Band erwähnen, "Post ins Gelobte Land", die wohl jüdischste Geschichte die Seghers je geschrieben hatte. Die Novelle ist meiner Meinung nach auch ein Statement dafür, dass ein Jüdischer Staat notwendig ist - und hier muss man bedenken, dass Anna Seghers später in der DDR, in den Jahren 1967 und 1973 sich weigerte, Israel als faschistischen Staat zu defammieren, da sie zeitlebens eine stolze Jüdin blieb. Die Tatsache, dass das Gebetbuch aus ihrer Kindheit und Jugendzeit in der Schublade neben ihrem Bett lag, sagt wohl da so einiges aus. 

Das sind also die Bücher, die mich dieses Jahr so bewegt haben. 

Freitag, 29. Dezember 2023

Bücher, die mich dieses Jahr bewegt haben - 2023 Version (10 Jahre Bücher die mich bewegt haben)

Ja, heute ist es tatsächlich zehn Jahre her, dass ich meine erste jährliche Buchbesprechung machte, und die dann leider von 2017 bis 2021 nicht gemacht wurde, entweder wegen schriftlicher Prüfungen oder Stress wegen der Pandemie. Letztes Jahr habe ich es wenigstens wieder geschafft, und so mache ich es dieses Mal wieder! 

Und wie gesagt, die hier besprochenen Bücher sind trotz der Nummern in keiner bestimmten Reihenfolge! 

1) Wenn du erzählst, erblüht die Wüste, Rafik Schami 

Rafik Schami liebt es, statt als Schriftsteller lieber als Erzähler bezeichnet zu werden - dieser als Erzählband versteckter Roman trifft es auf dem Punkt. 

Im Roman geht es um die arabische Prinzessin Jasmin, die nach dem Tod ihrer Mutter in eine Depression kommt, und durch einer List des verwitweten Kaffeehauserzählers Karam wird dann jede Nacht am Königshof Märchen und Geschichten erzählt, alles vom Volk selber. 

So tauchen wir hinein in einer Vielzahl von Erzählungen, die Unterschiedlicher nicht sein können. 

Jede Nacht ist in einer anderen Kategorie verteilt - so hat jede Erzählung in der Nacht Gemeinsam, dass sie alle ein Thema teilen, so handeln die Erzählungen der ersten Nacht von "Gaunern, Lügnern und deren Widersachern". Die Art, wie die Geschichten erzählt werden, kann oft auch als eine Parodie auf Tausendundeine Nacht verstanden werden, und als Liebhaber von Tausendundeine Nacht kann ich das sehr wertschätzen. Ich würde jedenfalls sagen, dass wenn man ein Liebhaber von Tausendundeine Nacht ist, dann wird man diesen Roman wohl lieben! 

Ich glaube auch, dass Rafik Schami durch diesen Roman in eine ganz neue Ära in seiner Karriere gekommen ist.  

2) Serge, Yasmina Reza 

Im Roman "Serge" von Yasmina Reza geht es um eine sehr dysfunktionale jüdische Familie aus Paris, die nach dem Tod der Matriarchin Marta nach Auschwitz reist, um zu verstehen, was sie damals erlebt hat. 

Der Trip nach Auschwitz vergeht sehr chaotisch, und neben den Shenanigans der Familie und die  Ansichten des Erzählers - der wohl der einzig normale in der Familie ist - sind recht witzig. Ein sehr prominentes Beispiel für schwarzen Humor, wie man ihn nur aus Frankreich kennt. 

Der Roman zeigt allerdings auch, wie schwer es auch in Frankreich für viele jüdische Familien war, nach der Schoa wieder neu anzufangen - und auch, wie viele von ihnen sich an die Mehrheitsgesellschaft anpassen wollten, wie die im Buch verstorbene Matriarchin Marta, die aus einer sehr assimilierten bürgerlichen Familie aus Budapest kam. Im Buch werden hier und da auch einige Vorwürfe an ihr gemacht, dass sie ihren Söhnen die Bar Mizwa verweigerte und sich so schämte, Jüdin zu sein dass sie lieber auf einen katholischen Friedhof beerdigt werden wollte. 

Eine witzige Rand Note ist auch die hier - Marta hatte einen Kalender mit Bildern von Putin, weil er ja ach so süß sei. 

3) Hijack for Freedom, Mark Dymshits 

Ich kaufte und las dieses Buch während meines Urlaubs in Israel letzten Mai. Das Buch sind die Memoiren des ehemaligen sowjetischen Piloten Mark Dymshits, der nach einer langen Karriere bei der sowjetischen Luftwaffe sich bei einer versuchten Flugzeugentführung im Sommer 1970 beteiligte und deswegen für mehrere Jahre in Haft saß. 

Mark beschreibt seine Kindheit und Jugend in Leningrad in den 30´er Jahren und seine Evakuierung 1941, und seiner Leidenschaft vom fliegen. Diese Leidenschaft und seine Karriere in der Luftwaffe lies ihn für lange Zeit die Realität des Jüdisch seins in der Sowjetunion ignorieren, bis zum Jahr 1967. 

Mark macht es klar, dass seine Mitverschwörer und seine Familie wussten, dass die geplante Flugzeugentführung auffliegen würde, allerdings bekamen sie das, was sie wollten - Aufmerksamkeit um das Schicksal der sowjetischen Juden. Mark beschreibt die Jahre in Gefangenschaft sehr lebendig, und sein Glück, als er hörte dass seine Töchter einige Jahre nach der geplanten Flugzeugentführung nach Israel auswandern konnten. 

Das Buch beschreibt auch sehr gut wie assimiliert die Juden in der Sowjetunion schon um 1930 waren, nur 12 Jahre nach der Revolution. 

4) Als ich im sterben lag, William Faulkner 

Oy, das war ein recht eingewickelter, aber dennoch guter Roman. Ein Roman von der Sorte, wo man so gut wie jede der Personen nicht wirklich sympathisch findet. Es geht um die Familie Bundren, die im Mississippi kurz nach der Jahrhundertwende versucht, den Wunsch der verstorbenen Mutter Addie zu würdigen, bei ihrer Familie in der Stadt Jefferson beerdigt zu werden. 

Die Geschichte verläuft chronologisch, wird in über 50 Kapiteln von nicht weniger als 15 Charakteren erzählt. 

Es gibt viele Charaktere, am meisten erzählen der Vater Anse, seine Tochter Dewey Dell, und sein Sohn Darl. Dewey Dell ist eine der wenigen mehr oder weniger sympathischen Charaktere. Wohl auch wegen der tragischen Umstände um ihr eigenes Schicksal, und die Tatsache, dass ihre Schwangerschaft vielleicht von einen ihrer eigenen Brüder gekommen ist. 

Die Geschichte an sich erzählt vom Leichenzug nach Jefferson, und die vielen Strapazen die dort passieren. 
Allerdings muss ich warnen, dass es eine Weile dauern kann, bis man wirklich rafft was eigentlich passiert und man die Charaktere wirklich kennenlernt. 


5) A Kim Jong-il Production, Paul Fischer 
Wie ihr wisst, so finde ich nordkoreanische Filme sehr faszinierend, so auch die Tatsache, dass es auch nordkoreanische Filme gibt, die auch tatsächlich gut sind. 

Eine führende Figur hinter der nordkoreanischen Filmindustrie war von ungefähr 1970 bis zu seinem Tod 2011 niemand anderes als der spätere Diktator Kim Jong-il, der ein großer Hobbycineast war. So sehr, und so enttäuscht war er vom Stand der nordkoreanischen Filmindustrie, dass er Ende der 70´er Jahre den grossen südkoreanischen Regisseur Shin Sang-ok und dessen Exfrau, die Schauspielerin Choi Eun-hee, separat entführen lies. 

Darum geht es in diesen Buch - aber nicht nur über die Entführung, der Jahre in Nordkorea und den Dreharbeiten zu unter anderen Pulgasari, sondern auch um das eigentliche Leben von Shin Sang-ok und Choi Eun- hee - und Kim Jong-il selbst. Paul Fischer hat sehr gut die ganzen Umstände zur Entführung recherchiert, sowie um die Umstände des Kinos im geteilten Korea. Auch wird die Entführung von Japanern und Südkoreanern beleuchtet, sowie die Entführung von anderen Nationalitäten für die bizarren Pläne Kim Jong-ils. Erzählt wird auch über das Schicksal von Woo In-hee, der grossen nordkoreanischen Schauspielerin, dessen Affäre mit Kim Jong-il ihr zum Verhängnis wurde.  

Als ich das Buch las, war es sehr, sehr schwer das Buch von mir zu legen, und ich kann es wirklich jeden weiterempfehlen. 

6) Eine Seuche in der Stadt, Ljudmila Ulitzkaja
Diesen Roman hatte Ljudmila Ulitzkaja schon in den 70´er Jahren als Drehbuch geschrieben, wurde allerdings abgelehnt, da das Thema darin noch nicht bereit war, verarbeitet zu werden in der damaligen Sowjetunion, die noch einige Jahre von den Veränderungen der Perestrojka entfernt waren. 

Im Roman geht es um einen Vorfall in den 30´er Jahren, in der es dem NKDW gelingt, den Ausbruch der Pest zu verhindern, indem sie mehrere Personen die mit dem Patient X in Verbindung waren verhaftet und in Quarantäne versetzt. Bei einigen dieser Leute bricht die Pest dann aus und sie sterben. 

Ljudmila Ulitzkajas kühle Erzählkunst kommt hier sehr gut in Bewegung, und man sieht dass es wohl mit willen schwierig gemacht wurde, sich mit irgendeinen der Charaktere zu identifizieren. 

Wie gesagt hatte Ulitzkaja den Roman in den 70´ern als Drehbuch geschrieben, aber als die Pandemie Anfang 2020 ausbrach, hat sie ihn durchgearbeitet und als Roman umgeschrieben. Die Handlung passte halt wieder in das Zeitgeschehen. Und das in einer Zeit, in der die Realität in Russland dunkler wurde, nicht nur durch die Pandemie und dessen Auswirkungen dort. 

Es war der letzte Roman, den Ulitzkaja vor dem russischen Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 veröffentlichte, und seit März 2022 wohnt sie nun mit ihrem Ehemann in Berlin. 

Es war sehr schön, wieder Bücher hier besprechen zu können - es fühlt sich irgendwie befreiend an, darüber zu schreiben, wie man beim lesen in eine ganz andere Welt geführt wird. 

Umso schöner das ich es noch nach 10 Jahren noch mache, trotz der Jahre, wo ich es leider nicht tat. 

PS - eigentlich hatte ich geplant, hier auch Masha Gessens Buch über Birobidschan zu besprechen, allerdings im Lichte der Tatsache dass sie sich auf der Seite der Hamas stellt und nun genau so ist wie die Leute, die damals in der Sowjetunion ihre Eltern verfolgten, habe ich keine Lust, sie hierzu promoten. 


Donnerstag, 29. Dezember 2016

Bücher, die mich dieses Jahr bewegt haben - 2016

Seit 2013 bespreche ich Bücher, die ich im Jahr gelesen habe und die mich besonders berührt haben. Lasst uns nun anfangen:

1. Feuer, Chaim Noll
Der Roman "Feuer" erschien im Winter 2010, also nur Monate vor der Atom-Katastrophe von Fukushima. Im Roman geht es um ein riesiges apokalyptisches Unglück, dass ein großes Gebiet in Deutschland betroffen hat. Eine Gruppe von mehreren Personen, die dieses Unglück in einer grossen Stadt erlebten, flüchten nun durch den Wald, auf der Suche nach Zivilisation. Unter ihnen sind Frau Silberblick, eine Orthodoxe Jüdin, Jonathan, ein Gymnast, Alma, eine Studentin aus reichem Hause, das Ehepaar Fink, Collande, ein Unruhestifter, und ein katholischer Priester. Auf dem Weg in die Zivilisation finden sie Leichen, verlassene Dörfer, und andere schreckliche Dinge. Am Ende kommen sie in die Zivilisation - und entdecken, dass diese sich in eine Dystopie entwickelt, die jegliche Hinweise auf die große Katastrophe verschleiern will.

Am Ende bekam ich fast ein Schock, als ich die Allegorie dahinter verstanden habe. Ich habe mich danach sogar an Chaim Noll selbst gewendet, und habe ihn gefragt, ob es eine Fortsetzung geben würde. Er habe vorher nicht darüber nachgedacht, würde es sich aber überlegen. Da bin ich ja mal gespannt. Wie dem auch seih, ich kann jeden diesen Roman empfehlen.

2. Hier kommt der Messias!, Dina Rubina
"Hier kommt der Messias" (Вот идёт Мессия!) ist der erfolgreichste Roman der russisch-israelischen Schriftstellerin Dina Rubina, die in Taschkent aufgewachsen ist und 1990 nach Israel ausgewandert ist.

Im Roman geht es um das Leben verschiedener russischer Einwanderer in den 1990´er Jahren, als die russische Einwanderung ihren Höhepunkt erreichte. Wir erleben hier mit den Charakteren den Kulturschock, das nostalgische Heimweh, und oft auch die Konfrontation mit ihrer eigenen Jiddischkeit, die viele von ihnen in der Sowjetunion verschwiegen haben oder überhaupt nicht kannten.

Eine der Geschichten die mich faszinierten waren die Geschichte vom Konvertierten Uri Bar-Chanina.

Das Buch ist derzeit leider schwer erhältlich - ich habe es letztes Jahr gebraucht über einen dritten Anbieter gekauft, und es dauerte auch so einige Wochen bevor es ankam. Dieses Jahr hatte ich jedoch nun auch endlich Zeit es zu lesen, und es war ein Genuss. Dina Rubinas Erzählkunst ist genau wie bei Ljudmila Ulitzkaja sehr russisch und dennoch sehr jüdisch, besonders in den sehr sarkastischen Situationen, in denen sie ihre Figuren steckt.

3. Du bist nicht so wie andre Mütter, Angelika Schrobsdorff
"Du bist nicht so wie andre Mütter" ist eines der besten Bücher die ich dieses Jahr gelesen habe. Erschienen ist es in den 1990´ern, als die Autorin des Buches noch in Jerusalem lebte. Angelika Schrobsdorff ist diesen Sommer im Alter von 88 Jahren in Berlin gestorben.

Der Roman ist eine autobiografische Erzählung über ihre sehr assimilierte, luxuriöse Kindheit im Berlin der 30´er Jahre und ihre Jahre in Bulgarien während des Krieges.

Der Roman fängt mit der Kindheit und Jugend ihrer jüdischen Mutter an. Für mich als Orthodoxer Jude war dieser Teil des Buches sehr gruselig, da es beschreibt wie sehr sich ihre Mutter schon als Kind vor allem jüdischen grauste und ein Teil der "deutsch-christlichen" Welt sein wollte. Ihre ersten beiden Kinder lässt sie taufen, aber Angelika selbst - die ironischer weise am Weihnachtsabend 1927 auf die Welt kommt - wird verschont. Danach wird beschrieben wie Angelika als Kind mehr oder weniger verhätschelt wird und wie ihre Mutter das Weltgeschehen aus dem Hause heraushält, und wie sie ihrer Tochter das Jüdischsein verschweigt und so tut als sei alles gut. Bis zur Kristallnacht. Ein Jahr darauf heiratet ihre Mutter einen Bulgaren und zieht dorthin. Kurz darauf reisen Angelika und ihre ältere Schwester Bettina mit, und erfahren daraufhin dass sie dort bis auf ungenaue Zeit dort bleiben werden. Dann fängt der 2. Weltkrieg an, und Angelika freut sich erst auf die Siege der Deutschen - bis ihr eigener Vater sie darauf hinweist, dass das, was die Deutschen tun, schlecht ist. Kurz darauf erfährt sie, dass sie Jüdin ist. Das verändert alles.

Das war sehr faszinierend zu lesen, wie Angelika sich von einem naiven, verhätschelten, Weltfremden Mädchen in eine junge, selbstbewusste jüdische Frau entwickelt, und wie sie erkennt, dass ihr gesamtes Leben bis dahin eine reinste Lüge war.

Ich werde nun auch mehr von Angelika Schrobsdorff lesen.

4. Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer, Alex Capus
Noch ein sehr langer Titel. Der hier hat jedenfalls eine interessante Vorgeschichte, von meiner Sich jedenfalls. Ich kaufte das Buch auf dem Wiener Flughafen im Herbst 2013, und fing daraufhin an ihn zu lesen. Mit mehreren Pausen dazwischen habe ich es im Frühling diesen Jahres nach 3 Jahren endlich geschafft ihn fertig zu lesen.

War schon ein Erlebnis.

Der Roman erzählt die Lebensgeschichten der im Titel genannten - bei Namen: Emile Gilliéron (1885-1939), Laura D´Oriano (1911-1943) und Felix Bloch (1905-1983). Es ist schon fantastisch wie viel Alex Kapus hier recherchiert hat, und die damalige Zeit wird einen lebendig und man kann es sich dann auch so richtig vorstellen. Allerdings muss ich sagen, dass von den drei Lebensgeschichten nur die von Laura D´Oriano und Felix Bloch interessant wirken - so erlebte ich es jedenfalls. In der zweiten Hälfte wird Gilliéron auch mehr oder weniger vergessen, und es konzentriert sich dann vermehrt auf D´Oriano und Bloch. Vielleicht währe es besser, wenn Capus sich nur auf die beiden konzentriert hätte - aber sonst ist der Roman recht gut geschrieben. Ich fand es jedenfalls sehr schön als ich das Lesen des Romans endlich nach 3 Jahren abschließen konnte.

5. Kaddisch für mein Schtetl, Grigori Kanowitsch
Nun zum wohl persönlichsten Roman des litauisch-jüdischen Schriftstellers Grigori Kanowitsch, "Kaddisch für mein Schtetl" (Местечковый романс). Der Roman erzählt die Geschichter seiner Familie im Schtetl von Jonava, und wie seine Eltern zueinander fanden, und wie seine Mutter dem Druck ihrer Schwiegermutter standhielt.

Dann von den glücklichen Jahren seiner Kindheit, die er mit seiner Großmutter väterlicher seits teilt, eine Zeit die 10 Jahre hält, bis zur sowjetischen Invasion 1939. Dies ist ein sehr interessanter Teil des Romans - hier wird beschrieben, wie die sowjetischen Besatzer mehrere Synagogen geschlossen haben und das hebräische als Unterrichtssprache verbieten. Somit ist dies der Anfang vom Ende des Schtetl-Lebens. Einer seiner Onkel ist überzeugter Kommunist, und dem war es sehr egal wie die neuen Machthaber seine jüdischen Brüder und Schwestern behandelten. Es wird nicht erwähnt, wie sein weiteres Schicksal in der Sowjetunion verlief, aber bestimmt endete er im Gulag.

Als die deutschen 1941 angreifen, sieht er dann seine geliebte Großmutter zum letzten Mal - sie will die Gräber ihrer Vorfahren nicht verlassen.  Letztendlich flieht er mit seinen Eltern in die Sowjetunion, und nach der Rückkehr nach Litauen 1945 ist alles was vorher da war ausgelöscht worden.

Ein sehr wichtiger Roman über das Ende des litauischen Judentums und der Schtetl-Kultur an sich.

6. Schlaflos in Tel Aviv, Chaim Noll
Die neueste Sammlung von Kurzgeschichten von Chaim Noll - die zweite nach "Kolja" aus dem Jahre 2012 (Besprechung folgt). Einige der Geschichten sind schon viele Jahre alt, und man kann es auch auf dem Schreibstil merken. Einige davon spielen in der DDR, andere im Modernen Israel und haben Bezug auf die heutige Situation.

Die erste Geschichte erzählt von einem 17 Jährigen Schüler im Ostberlin der 60´er Jahre, der um Geld für eine Fahrkarte bettelt. Letztendlich gibt eine ältere Frau ihn das nötige Geld, und fragt ihn, ob er Deutscher sei - welches er bejaht. Daraufhin sagt sie "...ein Deutscher bettelt nicht!"

In einer anderen Geschichte finden wir uns in einer Psychiatrie in der DDR wieder, wo ein Wehrdienstverweigerer einsitzt, angeblich weil er Alkoholiker sei. Eine ältere Ungarin fragt ihn daraufhin "Bist a Jud?" - und sagt daraufhin "Aber du weisst, Juden trinken nicht." Die Einrichtung der Psychiatrie - eine Villa umschlungen von Efeu - ist mehr oder weniger der Mikrokosmos der die DDR war, mit anderen Worten in einer Nussschale. Das Schicksal der Juden der DDR ist ein leider oft ignoriertes Thema, und ein typisches Schicksal findet sich in der Geschichte um Olga - über die Geschichte will ich jetzt nichts verraten.

Eine Geschichte die mich besonders beeindruckte war "Völkerrecht", in der eine deutsche Konvertitin darunter leidet dass ihre Schwester sich weigert sie in Israel zu besuchen wegen den angeblichen Kriegsverbrechen Israels.

Alles in allen ein würdiger Nachfolger zu "Kolja".

7. Ich muss ja den Weg gehen, den ich gehen kann, Fred Düren
Letztes Jahr ist im Frühling der legendäre ehemalige DEFA-Schauspieler Fred Düren von uns gegangen, und wurde auf dem Ölberg in Jerusalem beerdigt.

Das Buch ist aus dem Jahre 2008, gibt jedoch gute Einblicke in sein Leben durch diverse Interviews.

Er lebte ein bewegtes Leben: Anfänge im Theater, ab den 60´er Jahren sehr beliebter Charakterdarsteller sowohl bei der DEFA als auch beim Theater. Mitte der 80´er Jahre meldet er sich aus der SED raus, konvertiert zum Judentum, und macht kurz darauf Alija und wird einige Jahre danach Rabbiner. Wie in einem der Interviews im Buch erwähnt wird, ein riesiger Schritt zurück, aus kommunistischer Sicht, da man ja "Fortschritt" macht wenn man sich ganz von der Religion verabschiedet.

In den Interviews erzählt er auch, wie glücklich er war nun als Orthodoxer Jude in Jerusalem zu leben, und wie er nichts vom Leben in der DDR vermisste. Auch sagte er, dass die meisten Friedensdialoge naiv sind, und dass es wohl nie zum Frieden da unten kommen wird.

So, das war es für dieses Jahr!

Ein gesamter Jahresrückblick wird es dieses Jahr nicht geben, da mir die Zeit dazu fehlt. Vielleicht werde ich kurz nach Neujahr einen kleineren Rückblick schreiben.

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