Montag, 30. Dezember 2013

FILMKRITIK: Komissar (UdSSR 1967/1988) (10/10)

Alternative Titel: Die Kommissarin, Commissar, The Commissar, Комиссар

Regie: Aleksander Askoldow
Drehbuch: Aleksander Askoldow nach einer Erzählung von Wassili Grossman
Produktion: Aleksander Askoldow
Musik: Alfred Schnittke
Darsteller: Nonna Mordjukowa, Rolan Bykow, Raissa Nedaschkowskaja, Ljudmila Wolynskaja, Wassili Schukschin, Otar Koberidse, Ljubow Katz, Pawel Levin, Dmitri Kleyman, Marta Bratkowa, Igor Fischman

Handlung:
Ukraine, zur Zeit des russischen Bürgerkrieges:
Die Politkommissarin Klawdia Wawilowa (Nonna Mordjukowa) offenbart ihren Kommandeur (Wassili Schukschin), dass sie schwanger sei. Da die Weisse Armee näher rückt, wird Klawdia zum jüdischen Kesselflicker Jefim Magasanik (Rolan Bykow) geschickt, bis alles um ist, und um das Kind dort zu gebären. Nach anfänglichen Problemen nehmen Jefim und seine Frau Maria (Raissa Nedaschkowskaja) sie als eine Art Familienmitglied auf, und Klawdia wird auch von den Kindern akzeptiert. Aber das Leben in den oft von antisemitischen Pogromen heimgesuchte Dorf ist nicht immer leicht...

Review:
"Komissar" ist ein wahrhaftiges Meisterwerk. Gedreht wurde der Streifen schon im Jahre 1967, zum 50. Jahrestag der Russischen Revolution im Jahre 1917. Da die Partei die Filme die den Bürgerkrieg zum Jahrestag allerdings als heroische Propaganda gezeigt werden musste, wurde der Film abgelehnt. Aber dies war nicht der einzige Grund, weshalb der Film damals als "Antisowjetisch" verboten wurde: der Film zeigte Juden - Juden als Opfer! Und dazu noch jüdische Kultur - die Szene, wo die Großmutter ein Gebet auf jiddisch aufsagt, waren die ersten jiddischen Sätze in einem sowjetischen Film. Die sowjetische Regierung hasste Juden - ihre Kultur, ihre Sprache, ihre Religion - und ihren Stolz. Obwohl Lenin die antisemitischen Pogrome der Zarenzeit und des Bürgerkrieges verurteilte, und bis zum Ende der 30´er Jahre in der Ukraine und in Weißrussland jiddische Schulen und Zeitungen existierten, war der Zionismus verboten und die Religion de facto verboten. Und der bereits existierende Antisemitismus ist nach der Revolution natürlich nicht gestorben. Man hat, besonders nach 1948, "Zionist", statt "Jude" gesagt. Und nach dem Zweiten Weltkrieg hat man in der Sowjetunion den Mord an den Juden (und Roma) sowie die Kollaboration der einheimischen Bevölkerung mit den Nazis, total runtergespielt.

Der Film wurde erst 1988 freigegeben, und bekam dann den Silbernen Bären auf der Berlinale 1988.

Der Film (mit besonders grosser jüdischer Beteiligung, wenn man sich den Cast ansieht - allen voran Rolan Bykow) zeigt die jüdische Kultur in einem positiven Licht. Der Film zeigt auch die Rote Armee nicht als "heroische Befreier", sondern zeigt sie eigentlich als ganz normale Menschen, mit Fehlern, die eben auch jeder Mensch hat. Und er zeigt auch, das Krieg eigentlich nichts gutes ist - und das Krieg auch nicht heroisch ist, wie es die damalige Propaganda gezeigt hat. Krieg ist schrecklich - da sterben Menschen, und Dinge werden zerstört. Das zeigt sich hier vor allem an die Namenlose Stadt, die gezeigt wird, wenn die Rote Armee dort hineinzieht. Die Stadt scheint Tod.

Nonna Mordjukowa hatte mit diesen Film hier wohl ihre grösste Rolle. Sie spielt diese Rolle mit Leidenschaft, und der Charakterwandel, den ihre Rolle erfährt, nimmt man ihr auch voll ab. Die Rolle der Klawdia wandelt sich von einer harten, militärischen Person in eine weiche, menschliche Mutter die auch Mitleid empfindet. Rolan Bykow (einer der grössten jüdischen Schauspieler der Sowjetunion, möge er in Frieden ruhen) spielt die Rolle des Jefim in einer Mischung aus Lebensfreude und melancholischer Todesahnung, und seine Rolle hat hier auch einen ukrainischen Akzent. Raissa Nedaschkowskaja ist auch sehr gut als Maria, ebenso wie Ljudmila Wolynskaja als Großmutter.

Der Film hat auch diverse Traumsequenzen - zum Beispiel eine, wo Klawdia eine Vision hat von dem Schicksal ihres geliebten, dem Vater ihres Kindes. Eine Sequenz, die einen nie wieder los lassen wird, ist die folgende: in einer Nacht wo sich ein Pogrom nähert, und der Vater die Familie durch tanzen ermuntert, kriegt, bekommt Klawdia eine Vision dem Schicksal, dass die ukrainischen Juden rund 20 Jahre später ereilen wird: die Familie Magasanik, und andere Juden, allesamt mit dem von den Nazis aufgezwungenen Judenstern, gehen alle Willenlos in ein Ghetto rein (die Insassen haben allesamt KZ-Pyjamas an), und die Kamera zoomt ein auf das Gesicht von Klawdia, die erahnt, was ihnen passieren wird. Bei dieser Sequenz musste ich weinen, es war so tragisch, und so episch gefilmt. Der Film ist wirklich einer der besten Filme, den ich je gesehen habe. Den Silbernen Bären hat der Film 1988 richtig verdient! Und ich weis auch, dass ich die Erzählung "In der Stadt Berditschew" von Wassili Grossman lesen muss.

PS. Ich wundere mich, wieso sich Aleksander Askoldow sich als Frau, "Aleksandra Askoldowa" im Vorspann nennen lies?

Screenshots:

Heute ist der vorletzte Tag des Jahres.....

Weit hinaus in die Ferne....
Ja, das Jahr endet morgen. Endlich. Ich kann es kaum erwarten. Dieses Jahr hat mein Leben wahrhaftig verändert. Ich hatte mein Abschluss, war zwei Monate in Israel (und weis jetzt, dass meine Zukunft dort ist), und habe inzwischen "die Antwort" gefunden. Und was bleibt? Viele schöne Erinnerungen.

Ich freue mich auf 2014, weil ich dort im Herbst auf die Uni in Kopenhagen komme. Ein Grund, weshalb ich mich am meisten auf 2014 freue, ist der, dass ich im März wieder für eine Weile nach Israel fliege. 

Ich glaube, ich kann mein Leben am meisten geniessen, wenn ich am reisen bin. Ich glaube auch, dass die zwei Monate dort unten mir auch nun endgültig gezeigt haben, dass ich hier nicht hingehöre. Wenn ich reise, egal ob mit Flugzeug, Bus oder Zug, fühle ich mich lebendig, und kann das Leben so richtig geniessen. Eines der Gründe ist wahrscheinlich der, dass ich nicht weis, was morgen sein wird, und diese Ungewissheit mag ich irgendwie. Ich liebe es zwar, vieles schon vorauszuplanen (zum Beispiel welche Bücher ich auf der Reise lese), aber dennoch mag ich es. Ich habe zum Beispiel auch die Reise durch Europa im Sommer 2011 unglaublich genossen, und die Reisen im Sommer 2010 (Miami und Flensburg) habe ich echt genossen - wahrscheinlich wusste ich schon damals, dass ich mein Leben so am meisten geniessen kann. 

Sonntag, 29. Dezember 2013

Musikkritik: Horses, Patti Smith (1975) (9/10)

"Horses", das Debutalbum von Patti Smith, der "Godmother of Punk". Eines der besten Alben der 70´er Jahre, und ein Meilensteins des Punks. Hier überzeugt Patti Smith nicht nur mit ihrem Gesang, sondern auch mit ihrer Lyrik. So gibt es auf dem Album auch einige Lieder, die mehr aus gesprochener Lyrik bestehen mit Hintergrundmusik.

Titelliste:

1. Gloria
2. Redondo Beach
3. Birdland
4. Free Money
5. Kimberly
6. Break It Up
7. Land
8. Elegie

Das Album fängt richtig gut an, mit ihrem berühmten Satz "Jesus died for somebodys sins, but not mine" zum Eingangslied "Gloria", das ein Cover eines Songs von Van Morrison, mit einigen Änderungen von Patti Smith. Das Lied ist einer der absoluten Highlights des Albums. Ein zweiter Höhepunkt des Albums ist das zweite Lied "Redondo Beach", das trotz des hohen Sounds eigentlich ein recht trauriges Lied ist. "Birdland" ist ein langsames, melodiöses Lied, angehaucht mit Patti Smiths fantastischer Lyrik. "Kimberly" ist ein guter Ohrwurm; "Land" gehört zu einem Magnus Opus von ihr; eines der längsten Lieder ihrer Karriere, ähnlich wie das später erscheinende "Radio Ethiopia", von dem Lied hat das Album auch seinen Titel ("Horses, horses..."). Fantastische Musik, im Gegensatz zur Seelenlosen Disco-Welle, die damals die Charts dominiert haben. 

Der letzte Sonntag im Jahre 2013

Dämmerung über Lolland
Es ist wieder so weit. Das Jahr ist am enden. Wie ich schon oft sagte, fasse ich echt nicht, dass das Jahr bald zu Ende ist. Dieses Jahr hat mein Leben wahrhaftig verändert. Und ich sehne mich schon so sehr nach 2014, weil sich mein Leben dort wieder verändert. 

Morgen kommt ein Jahresrückblick für 2013; den Jahresrückblick für 2012 finden sie hier.

Bücher, die mich dieses Jahr bewegt haben


Da ich ja ein Bücherwurm aus Leidenschaft bin, habe ich dieses Jahr natürlich sehr viel gelesen;

Hier sind die Bücher, die mich dieses Jahr besonders bewegt haben:

(die Titel hier sind zwar nummeriert, aber nicht in einer bestimmten Reihenfolge)

1. Das Erbe, Sahar Khalifa
"Das Erbe" (al-Mirath) ist ein Roman der palästinensischen Schriftstellerin Sahar Khalifa. Der Roman hat zwei Handlungen: zum einen die Vorgeschichte der Hauptperson, Sainab "Sena" Hamdan, die ihre Kindheit und Jugend in Brooklyn beschreibt - wie sie zwischen zwei Welten lebte, zum einen in einer arabischen (durch ihren palästinensischen Vater) und zum einen in einer westlichen, amerikanischen (durch ihrer amerikanischen Mutter). Als Sena noch jung ist, haut ihre Mutter von zuhause ab - und als Teenager wird sie schwanger, und flüchtet zu ihrer Grossmutter. Jahrelang hat sie keinen Kontakt zu ihrem Vater, und sie wird eine erfolgreiche Anthropologin. Nach dem Tod ihrer Mutter erbt sie noch eine große Summe; als sie erfährt, dass ihr Vater im sterben liegt, nimmt sie den nächsten Flieger nach Israel und nimmt sich danach ein Taxi ins Westjordanland, wo ihr Vater mittlerweile zu seinem Geburtsort zurückgekehrt war. Dort wird sie von ihrer Sippe aufgenommen, teils herzlich, teils misstrauisch, da sich viele ums Erbe ihres Vaters reißen. Währenddessen kämpft ihre Tante Nahla, eine ehemalige Lehrerin aus Kuwait, um Anerkennung in ihrer eigenen Familie.

So, nun möchte ich auch nicht mehr verraten. "Das Erbe" hat mich wirklich beeindruckt. Irgendwie konnte ich nachvollziehen, wie Sena sich fühlt, zwischen zwei Welten, da ich selbst auch gemischter Abstammung bin. Sahar Khalifa beschreibt das ganze sehr gut. Der Roman ist wie gesagt geteilt in zwei Teilen: im ersten Teil geht es um Sena, um ihre Kindheit, ihre Jugend, und ihr modernes, emanzipierte Leben in New York. Das Idyll wird dann gestört durch der Nachricht, Senas Vater sei im sterben. Wir erfahren dann auch wie fremd ihr die palästinensische Kultur vorkommt, und wie sie noch einige Schwierigkeiten hat, arabisch zu sprechen, da sie seit dem sie bei ihrer Großmutter wohnte nur englisch sprach.

Im zweiten Teil geht es dann mehr um ihre Tante Nahla, und ein genaueres Porträt der Familie Hamdan. Anfangs sehen wir das Geschehen noch mit Senas Augen, aber nach einen Gespräch mit der Tante Nahla, wo sie offenbart, wie undankbar sie von der eigenen Familie behandelt wird, sehen wir das Geschehen mit Nahlas Augen. Erst am Ende wird es noch mit Senas Augen gesehen. Und jetzt verrate ich nicht mehr.

2. Hotel Shanghai, Vicki Baum

Vicki Baum war eine der bedeutendsten Schriftstellerinnen ihrer Zeit. Geboren in einer jüdischen Familie in Wien, wurde sie später eine sehr bedeutende Schriftstellerin der Weimarer Republik. Anfang der 30´er Jahre migriert sie in die USA, wo sie auch bis zu ihren Tod 1960 bleibt.

"Hotel Shanghai" ist in zwei Teilen geteilt. Der erste Teil beschreibt die Leben der Hauptpersonen - unter anderen ein chinesischer Triadenboss, sein Sohn, ein jüdischer Arzt, eine russische Adlige, ein japanischer Geschäftsmann, und eine amerikanische Flugbegleiterin. Am Anfang wird jedenfalls schon klar gemacht, dass jeder der im ersten Teil erwähnten Personen sterben wird. Im zweiten Teil geht es um das im Titel erwähnte Hotel, wo sich alle im ersten Teil genannten Personen begegnen werden. Hier realisiert zum Beispiel die russische Adlige Jelena (aka Helen Russel), dass ihre Ehe die Hölle ist, der jüdische Arzt Doktor Hain bekommt einen Brief von seiner nicht-jüdischen Frau in Deutschland, dass sie sich scheiden möchte, und dass "der Führer recht hat", und der Sohn des Triadenboss bekommt eine junge Konkubine verehrt, Meilan, da er mit seiner amerikanischen Frau bis jetzt noch keinen Nachkommen kriegen konnte.

Das Jahr 1937 wird durch das Lesen hier richtig lebendig. Nicht nur das glamouröse Leben im Hotel wird hier lebendig, sondern auch die damaligen Probleme werden auf einmal sehr lebendig: so beschreibt Vicki Baum im ersten Teil den Aufstieg der Nazis in den Augen des jüdischen Arztes und der eines Studenten. In Shanghai gehen sie alle ins Exil, andere flüchten von ihren eigenen Problemen zuhause (wie zum beispiel Jelena und Ruth Anderson), und sind im Hotel Shanghai dann in einer ganz anderen Welt. Der Roman wurde 1997 verfilmt, mit Agnieszka Wagner als Jelena und Hu Xin als Meilan. Als ich das Buch fertig gelesen hatte, war ich sehr berührt.

3. Frauen ohne Männer, Shahrnush Parsipur
Kommt euch der Titel hier nicht bekannt vor? Ja, denn der Roman (im Original: Zanān bedun-e mardān) wurde 2009 von Shirin Neshat verfilmt. Der Roman ist jedoch viel gewalttätiger als die Verfilmung, und der Roman ist auch voller magischen Realismus. Eine vierte Schlüsselfigur tritt auch hier auf, die am Anfang erscheint, und am Ende in einen Baum verwandelt wird.

Shirin Neshat hat vieles davon im Film weggelassen, um die Parallelen von damals mit dem Iran von heute zu zeigen. Im Roman hier stirbt Munes zwei Mal, bevor sie wiedergeboren wird. Hier wird auch genauer Beschrieben, wie sich die Frauen von der Aussenwelt verabschieden und sich dann im Garten in der Einöde eine eigene kleine Utopie aufbauen.   Es wird hier auch genauer beschrieben, wie schlimm und leer das Leben als Prostituierte ist.

Der Roman wurde kurz nach seiner Veröffentlichung 1989 verboten, und die Autorin Shahrnush Parsipur erlebte mehrmals ein Gefängnis von innen - sowohl unter dem Schah als auch unter Khomeini. Ich habe den Roman damals auf meinen Flug von Wien nach Tel Aviv gelesen - und das letzte Kapitel und das Nachwort der Autorin las ich dann am Abend einige Stunden nach meiner Ankunft in Jerusalem. Deswegen verbinde ich den Roman nämlich jetzt immer mit den Tag, als ich nach Israel kam.

4. Schalom, Avram Kantor  
Diesen Roman (im Original: El haChardonim) verschlang ich auf einem Tag. In dem Roman geht es um Nechama, eine Überlebende des Holocausts. Sie ist verwitwet, und hat mehrere Kinder und Enkelkinder. Ihr Ehemann Menachem hatte den Deutschen nie verziehen, deswegen hat er dann seinen Sohn  Jaki verstoßen, als der eine Deutsche heiratete und mit der eine Familie in Deutschland gründete.  Jaki schreibt einmal im Monat einen Brief, und Nechama träumt immer noch davon,  dass Jaki zurückkehren würde. Obwohl Menachem Jahre vorher verstarb, ist er immer noch im Haus präsent. Eines Tages ruft Jaki an. Sein Sohn Gil kommt zum Zivildienst nach Israel, und sie möge ihn eine Unterkunft gewähren. Nechama ist geschockt.

Der Roman beschreibt drei Generationen, und wie diese aufeinander treffen. Die Inneren Monologe von Nechama sind sehr gut geschrieben, und man fühlt mit den Betroffenen mit. Und man stellt sich beim lesen natürlich die Frage: Ist ein vergeben eigentlich möglich?
Die Frage ist voller Ja/Neins, aber der Roman ist ein erster Schritt zur Antwort.

5. Die Sonnenblume, Sahar Khalifa
Ich glaube, von allen Romanen die ich bisher von Sahar Khalifa gelesen habe, ist "Die Sonnenblume"(im Original: Abbad al-Schams) wohl das überzeugendste Werk von ihr. Der Roman eine Fortsetzung ihres Debutromans "Der Feigenkaktus" von 1976, und ist gleichzeitig ein eigenständiges Werk. Der Roman handelt von drei Frauen, die alle Aussenseiter in der arabischen Gesellschaft sind. Zum einen die Hauptdarstellerin Sadija, die eine Witwe ist, zum zweiten Rafif, die Journalistin ist und somit auch eine emanzipierte Frau ist, und zum dritten Chadra, eine Prostituierte die sich von niemanden was sagen lässt.

Sadija arbeitet als Näherin zuhause, um ihre Kinder und sich ernähren zu können. Sie wird um ihren Erfolg als Näherin von den Nachbarinnen in ihrem Stadtteil von Nablus beneidet und verachtet. Eine Schlüsselszene kommt bei Sadijas unfreiwilligen Ausflug nach Tel Aviv. Dort trifft sie in einem Restaurant auf die Prostituierte Chadra, die Sadija mit ihrem Mundwerk schockiert. Chadra lockt Sadija dann auf einen Egged-Bus, und dort flirtet sie dann die ganze Zeit mit dem Busfahrer, bis sie ihn dann überredet, zum Strand zu fahren. Kurz nachdem der Bus dann vom Kurz abwich, werden sie schon von der Polizei verfolgt. Chadra und Sadija landen im Gefängnis. Beide erhalten dort Prügel. Und Chadra hat dazu nichts anderes zu sagen als:

"Ha, sie haben mir eine Tracht Prügel verpasst, die sich sehen lassen kann. Aber was soll´s? So was habe ich schon oft erlebt, wie ich Haare auf den Kopf hab. Der Vater verprügelt einen. Der Ehemann verprügelt einen. Die Juden verprügeln einen. Prügel hier Prügel da. Aber weiss Gott, die Prügel von den Juden sind besser. Da fühlt man sich wenigstens geachtet. Morgen geh ich raus und erzähl aller Welt: Ihr könnt mir´s glauben, ha genau! Das Gefängnis ist auch was für Frauen, ihr Männer, ha!"          
Die beiden Frauen kommen sich näher, und nach der Rückkehr ins Westjordanland trennen sich ihre Wege. Bis sie sich dann eines Tages im Badehaus begegnen. (....)

Währenddessen versucht die Journalistin Rafif, von ihren Mänlichen Kollegen anerkannt zu werden.

6. Was mir zusteht, Parinoush Saniee
Im Roman (im Original: Saham-e Man) geht es um Masumeh, die während der Ära des Schahs mit einem Mann verheiratet wird, den sie vorher nie gesehen hatte. Zu ihrem Glück ist er westlich orientiert, und ist im kommunistischen Untergrund aktiv. Als die islamische Revolution 1979 anbricht, verändert sich alles.

Parinoush Saniee beschreibt hier sehr gut ein Porträt einer jungen Frau, die in ihrer Jugend ein Martyrium durchleben muss. Vom Vater und von den Brüdern misshandelt, wird sie nach einer angeblichen Affäre aller Freiheiten beraubt und dann anschließend verheiratet wird. Obwohl sie in der Ehe alle Freiheiten geniest, ist ihr Leben nicht leichter geworden. Ihr Mann lebt gefährlich, wegen seiner politischen Aktivitäten, und eines Tages werden mehrere seiner Freunde aus dem Untergrund hingerichtet. Als einer ihrer Söhne später zum Anhänger Khomeinis wird, scheint alles verloren.  

Der Roman erinnert einen auch an die Freiheiten der Frauen während der Ära des Schahs. Es war zwar nicht alles perfekt, aber man konnte leben, und die ganzen Freiheiten, die wir  hier in der westlichen Welt  geniessen, wurde den Menschen nach der Revolution 1979 geraubt.

7. Ich will leben, Nina Lugowskaja
Das Tagebuch (im Original: Chotschu shit) eines jungen Mädchens, dass die Perspektivlosigkeit des stalinistischen Russlands nicht mehr ertragen konnte. Nina Lugowskaja war ihr Name, und sie hatte ein unglaubliches Talent zum schreiben. Sie fing 1932 mit den Tagebuchführen an, im Alter im 13 Jahren. 1937 hört sie auf - denn eines Tages im Frühjahr 1937 wurde das Haus der Familie durchsucht - und die Tagebücher wurden entdeckt. In den Tagebüchern wurden Sätze entdeckt, die Stalin und dem Kommunismus gegenüber extrem kritisch wahren - und nicht nur die Sätze und Passagen wurden verurteilt: auch die Stellen, wo sie sich über ihr eigenes Leben und psychologischen Problemen schreibt, galten als "Konterrevolutionär".

Nina und ihre ganze Familie wurden nach Sibirien geschickt, wo sie bis zum Ende der 40´er Jahre bleiben. Im Exil in Sibirien heiratet sie einen Juden, Viktor Templin. Das "witzige" an der Sache ist, dass sie besonders in ihren frühen Tagebüchern mehrere antisemitische Passagen ist - bis heute existiert in Russland ein extremer Antisemitismus in vielen teilen der Bevölkerung. Viele Jahre nach Stalins Tod gaben viele an, von dem Terror Stalins nichts mitbekommen zu haben - Nina Lugowskajas Tagebuch beweist das Gegenteil. Sie beschrieb unter anderen, wie hungrige Menschen vom Lande in die Stadt kamen, auf der Suche nach Essen - und dann zurückgeschickt wurden. Sie beschreibt auch, wie diverse Personen plötzlich "verschwinden".

Nina Lugowskaja kann man irgendwie auch die "Anne Frank des Stalinismus" nennen. Allerdings hatte Anne Frank nicht das Glück, lebendig aus dem Lager zu kommen. Nach ihrer Entlassung aus dem Lager hat Nina nie mehr geschrieben, stattdessen hat sie gemalt. Erst nach ihrem Tod wurden ihre Tagebücher (nachdem sie in alten KGB-Archiven gefunden wurden) veröffentlicht. Ich kann jeden dieses Buch ans Herz legen.

8. Im roten Eis - Schicksalswege meiner Familie 1933-1958, Sonja Friedman-Wolf
"Im roten Eis" ist ein besonderes Buch. Es wurde 1962 geschrieben, aber erst dieses Jahr (2013) veröffentlicht. Die Autorin, Sonja Friedman-Wolf, beschreibt hier ihr Leben. Geboren wird sie in eine Familie deutsch-jüdischer Kommunisten in Berlin 1923. Nachdem die Nazis 1933 an die Macht kamen, zieht die Familie Wolf erst für eine Weile in die Schweiz, wo Sonja dort Lion Feuchtwanger trifft. Im selben Jahr beschließen ihre Eltern jedoch, ins kommunistische Paradies, der Sowjetunion, zu ziehen. Sonja und ihrem Bruder kommt das Leben in Moskau allerdings nicht geheuer vor; die Eltern sind noch sehr von ihrer kommunistischen Überzeugung geblendet.  

Nach einer Weile beginnen die stalinistischen Säuberungen, und Leute verschwinden. Der Vater verschwindet auch - und dennoch hält die Mutter am Kommunismus fest - bis sie kurz nach Kriegsbeginn Selbstmord begeht. Sonja beginnt eine kurze Karriere als Informantin des sowjetischen Staatsapparats - bis sie und ihr Bruder nach Sibirien deportiert werden. Ihr Bruder stirbt an der Front. Sonja trifft in Sibirien auf den litauischen Juden Israel Friedman, den sie dort auch heiratet. 1944 kommt dann Tochter Esther Asnat zur Welt. Israel und Esther können das Lager schon 1945 verlassen, Sonja selbst muss noch bis 1948 warten, um raus zu kommen. In Litauen beginnt sie dann ein neues Leben - dennoch muss sie mit ansehen, wie Stalins antisemitische Kampagnen das Land auf den Kopf stellen. Nach Stalins Tod ändern die Dinge sich ein Wenig. 1958 wandern sie in die DDR aus - wo sie unterschreiben, niemanden von den Erlebnissen in der UdSSR zu erzählen. In der DDR trifft Sonja auch auf andere, die als Kinder mit den Eltern nach Moskau auswandern - allerdings will niemand darüber sprechen, um bei der SED mit zu marschieren.

Das ganze erinnert Sonja dann aber zu sehr an den Nationalsozialismus als auch den Stalinismus, und im selben Jahr flüchtet die Familie dann nach Westberlin, und dann anschließend nach Israel.  1962 schreibt sie ihre Memoiren, allerdings will kein deutscher Verlag sie veröffentlichen. 1986 begeht Sonja Friedman-Wolf in ihrer Wohnung in Tel Aviv Selbstmord.

Ich kann jedem dieses Buch empfehlen, besonders jetzt in diesen Tagen, wo die Taten Stalins (oft auch der Antisemitismus in der UdSSR generell) oft verharmlost werden.            

Jeden der hier genannten Bücher kann ich vollen Herzens empfehlen! Ich bin jetzt voll gespannt wie viele Bücher ich bald im neuen Jahr 2014 verschlingen werde. Auf jeden Fall etwas von Esther David und Sahar Khalifa.                                  

FILMKRITIK: The Devil & the Song (Südafrika 1989) (2/10)

Regie: Bromley Cawood  Produktion: P.G. du Plessis, Albie Venter, Frederik Botha Drehbuch: P.G. du Plessis Musik: Bles Bridges Darsteller: V...